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Interview

Feministin Lunz zu EU-Beschluss: Historisch, aber auch ein Skandal



Berlin (epd). Das Parlament der Europäischen Union und die EU-Staaten haben sich auf das erste Gesetz gegen Gewalt an Frauen verständigt. Es klammert aber Vergewaltigungen aus. Die Initiatorin eines Offenen Briefs namhafter Frauen an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), Kristina Lunz, ordnet den EU-Kompromiss ein. Lunz ist Politikwissenschaftlerin sowie Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Centre for Feminist Foreign Policy.

epd sozial: Die Europäische Union hat sich auf eine Richtlinie zum Schutz von Frauen vor Gewalt verständigt, die den Tatbestand der Vergewaltigung ausklammert. Wie kann das sein?

Kristina Lunz: Genau. Es ist gestern tatsächlich etwas Historisches passiert: Die EU hat sich auf rechtliche Mindeststandards zum Gewaltschutz von Frauen verständigt. In allen Mitgliedsländern soll es einheitliche Regeln geben für den Schutz von Frauen und für ihre Rechte, wenn ihnen Gewalt widerfährt. Das hat es noch nie gegeben. Dabei geht es um vieles: häusliche Gewalt, digitale Übergriffe oder auch Genitalverstümmelung.

Gleichzeitig ist aber etwas sehr Negatives passiert. Einige Mitgliedsstaaten haben während der Verhandlungen interveniert und eine Einigung über den Artikel 5 der EU-Richtlinie zum Vergewaltigungs-Straftatbestand verhindert, allen voran Deutschland und Frankreich. Das ist nichts Geringeres als ein Skandal.

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission vom März 2022 wären Vergewaltigungen in allen Mitgliedsländern strafrechtlich zu verfolgen, wenn der Sexualakt nicht einvernehmlich ist. Nun aber haben wir in der EU weiter einen Flickenteppich nationaler Regelungen - und in über zehn Staaten müssen Frauen noch immer beweisen, dass sie sich körperlich gewehrt haben, wenn sie nach einer Vergewaltigung vor Gericht gehen.

epd: In Deutschland gilt die „Nein heißt Nein“-Regelung. Justizminister Buschmann argumentiert, die EU habe nicht die rechtliche Kompetenz, Vergewaltigung als Straftatbestand zu regeln. Hat er recht?

Lunz: Wir haben uns mit mehr als 100 Frauen in einem Offenen Brief an Minister Buschmann gewandt und ihn aufgefordert, diese Blockade aufzugeben. Wie bei juristischen Fragen üblich, ist seine Argumentation nicht die einzig mögliche. Die EU-Kommission hat eine andere Auffassung. Im EU-Parlament gibt es andere Auffassungen. In Deutschland widerspricht der Juristinnenbund ganz klar dem Minister: Die EU habe sehr wohl die Rechtskompetenz, auch den Vergewaltigungs-Staftatbestand zu vereinheitlichen.

epd: Was hätte Deutschland anders machen können?

Lunz: Deutschland hätte einer der mehr als zehn Staaten sein können, die davon ausgehen, dass die EU die rechtliche Kompetenz hat, den Vergewaltigungs-Straftatbestand zu vereinheitlichen. Auf jeden Fall hätte Deutschland - aus der Perspektive von Frauen und der Gleichberechtigung - nicht einer der wenigen Staaten sein dürfen, die aktiv blockiert haben. Als feministische Zivilgesellschaft hätten wir uns gewünscht, dass die Grünen und die SPD die Blockadehaltung des Justizministers nicht geduldet hätten.

Bettina Markmeyer


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