Erfurt, Stuttgart (epd). Kirchliche Arbeitgeber geraten bei Kündigungen wegen Kirchenaustritts zunehmend unter den Druck staatlicher Gerichte. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 1. Februar erneut einen Streit um die Kündigung nach einem Kirchenaustritt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Prüfung vorgelegt. Die Erfurter Richter wollen insbesondere wissen, ob es eine EU-rechtswidrige Diskriminierung wegen der Religion darstellt, wenn der in einer Schwangerschaftsberatungsstelle in Limburg tätigen Sozialpädagogin wegen ihres Kirchenaustritts gekündigt wird, Arbeitnehmerinnen anderer Religionen aber nicht.
Bereits Ende 2023 sollte die Große Kammer des EuGH einen vergleichbaren Kündigungsstreit zwischen einer angestellten Hebamme und einer Dortmunder Caritasklinik klären. Der katholische Arbeitgeber wollte aber offenbar ein Grundsatzurteil vermeiden und lenkte ein.
Die Hebamme war zunächst in der Caritasklinik angestellt und noch Mitglied der katholischen Kirche. Während ihrer anschließenden Selbstständigkeit trat sie wegen der zahlreichen Fälle von Kindesmissbrauch bei der katholischen Kirche aus. Als sie wieder in der Klinik angestellt wurde, stellte der Klinikbetreiber kurze Zeit später den Kirchenaustritt fest. Er kündigte ihr fristlos wegen des Verstoßes gegen ihre Loyalitätspflichten. Wie das BAG am 19. Dezember 2023 mitteilte, hat die Klinik schließlich die Ansprüche der gekündigten Hebamme anerkannt und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist.
Im aktuellen Limburger Fall war die Klägerin seit 2006 in der Schwangerschaftsberatung in der Diözese Limburg tätig. Zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses verpflichtete sie sich, das ungeborene Leben zu schützen und Schwangere entsprechend zu beraten. Beratungsscheine, die für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch erforderlich sind, wurden nicht ausgestellt. In der Beratungsstelle arbeiteten neben katholischen auch zwei evangelische Mitarbeiterinnen.
Kurz nach Beginn ihrer Elternzeit am 11. Juni 2013 trat die Klägerin aus der katholischen Kirche aus. Sie begründete dies mit dem von der Diözese Limburg erhobenen „besonderen Kirchgeld“. Dieses wird von Katholiken verlangt, die mit einem besonders gut verdienenden konfessionslosen oder andersgläubigen Partner verheiratet sind.
Als sie Ende Mai 2019 ihre Elternzeit beendete, hatte ihr Kirchenaustritt arbeitsrechtliche Konsequenzen. Die Schwangerschaftsberatungsstelle kündigte ihr fristlos, hilfsweise ordentlich zum Ende des Jahres 2019. Der Kirchenaustritt sei ein illoyales Verhalten, mit dem sie sich aktiv gegen die kirchlichen Werte gestellt habe. Mit ihrer Tätigkeit in der Schwangerenberatung könne sie dem Verkündigungsauftrag nicht mehr gerecht werden.
Die Sozialpädagogin erhob Kündigungsschutzklage. Sie sei bereits arbeitsvertraglich zum Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet und wolle dies weiterhin tun. Ihre Tätigkeit sei „konfessionsneutral“, zumal in der Beratungsstelle auch evangelische Mitarbeiterinnen tätig seien.
Während die evangelischen Kolleginnen bei einem Kirchenaustritt keine Kündigung zu befürchten hätten, sei es eine Diskriminierung wegen der Religion, wenn sie als Katholikin bei einem Kirchenaustritt eine Kündigung erhalte, rügte die Klägerin. Sie stehe trotz ihres Kirchenaustritts weiter zu den christlichen Werten.
Das BAG hat das Verfahren dem EuGH zur Klärung vorgelegt. Dieser soll prüfen, inwieweit ein Arbeitsverhältnis allein wegen eines Kirchenaustritts gekündigt werden darf. Eine Diskriminierung wegen der Religion komme hier in Betracht, wenn andere, nicht der katholischen Kirche angehörigen Mitarbeiter bei einem Kirchenaustritt nicht gekündigt würden. Außerdem wollte das BAG wissen, ob das Angebot des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis bei Wiedereintritt in die Kirche fortzusetzen, für die Unwirksamkeit der Kündigung eine Rolle spielt.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg urteilte am 10. Februar 2021, dass kirchliche Arbeitgeber nicht jeden Kirchenaustritt mit einer Kündigung ahnden dürfen. Im Streitfall hatte die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart einem Koch wegen seines Kirchenaustritts gekündigt. Mit dem Kirchenaustritt habe er schwerwiegend gegen seine vertraglichen Loyalitätspflichten verstoßen.
Der Koch wehrte sich vor Gericht und argumentierte, dass das Essen kochen nicht zum Verkündigungsauftrag gehöre. Kontakt zu den Kita-Kindern und dem Personal habe er kaum.
Das LAG erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Verbleib in der evangelischen Kirche gehöre nicht zu der „wesentlichen und berechtigten Anforderung an die persönliche Eignung“ des Kochs.
Az.: 2 AZR 196/22 (A) (Kündigung Sozialpädagogin)
Az.: 2 AZR 130/21 (A) (Kündigung Hebamme)
Az.: 4 Sa 27/20 (Landesarbeitsgericht Stuttgart)