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Inklusion

Neues Gesetz soll mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Jobs bringen




Ein Rollstuhlfahrer arbeitet an der Hotelrezeption.
epd-bild/Guido Schiefer
Ein neues Gesetz soll mehr Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt bringen. Das Unterfangen ist schwierig, die Vorbehalte gegen Behinderte sind groß. Verbände sehen das Gesetz als wichtigen Schritt, dem jedoch weitere folgen müssen.

Berlin (epd). Seit Januar gilt das „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“, das mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Jobs bringen soll. Unter anderem wird damit eine neue Stufe der Ausgleichsabgabe von 720 Euro je Monat eingeführt, die Firmen, die trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Menschen mit Behinderung beschäftigen, mehr Geld als bisher kostet. Zudem gelten Anträge auf Förderung bei den Integrationsämtern automatisch als genehmigt, wenn die Behörde nach mehr als sechs Wochen darüber noch nicht entschieden hat.

Der große Wurf sei das nicht, urteilte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) Michaela Engelmeier. „Aber es ist ein Schritt nach vorne. Es bringt Menschen mit Behinderungen als potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeit ein Stück weiter aufs Tableau“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie hätte sich eine noch höhere Ausgleichsabgabe gewünscht, die zudem nicht erst im März 2025 fällig wird. Entscheidend für die Zukunft sei, bei Arbeitgebern eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen. Diese hätten noch zu oft Berührungsängste beim Umgang mit Menschen mit Behinderung.

44.000 Firmen beschäftigen keine Behinderten

Fach- und Sozialverbände verweisen darauf, dass es bei der gesetzlichen Neuregelung keineswegs nur darum gehe, dem Ziel eines inklusiven Arbeitsmarktes einen Schritt näherzukommen, sondern auch darum, dass Menschen mit Behinderungen als wertvolle Arbeits- und Fachkräfte betrachtet werden. Ein Umdenken sei gefragt. Doch Fakt ist: Noch immer zahlen viele Unternehmen lieber Strafen, weil sie die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl an zu beschäftigenden Menschen mit Behinderungen nicht erreichen, als eben jene Personen einzustellen. Dass das neue Gesetz hier schnell zu Fortschritten führt, bezweifeln Expertinnen und Experten.

Rund ein Viertel aller Arbeitgeber in Deutschland, in der Summe über 44.000 Unternehmen, beschäftigen keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung. Verpflichtet dazu sind Firmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen. Sie müssen fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) mussten 2021 etwa 61 Prozent der von der Beschäftigungspflicht betroffenen Unternehmen die Ausgleichsabgabe entrichten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen beziffert das Gesamtaufkommen der Ausgleichsabgabe 2020 auf 697 Millionen Euro.

Der Sozialverband VdK beklagt, dass die Bußgeldvorschrift für zur Beschäftigung Behinderter verpflichteter Firmen zum Jahreswechsel weggefallen ist. Sah bislang Paragraf 238 Abs. 1 Nummer 1 SGB IX zusätzlich zur Ausgleichsabgabe bislang eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10.000 Euro vor, ist dieser Tatbestand nun gestrichen worden - wegen der erhöhten Ausgleichsabgabe.

„Bisher war es eine Ordnungswidrigkeit, wenn Arbeitgeber vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Beschäftigungspflicht verstoßen haben. Der Wegfall steht in einem Widerspruch zum Gesetz, denn die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausdrücklich nicht auf“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele dem epd.

Kritik an fehlender Sanktionsmöglichkeit

Auch SoVD-Chefin Engelmeier hält den Wegfall der Bußgeldpflicht für einen Fehler. „Damit fehlt nun eine Sanktionsmöglichkeit für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht nicht erfüllen. Jede Regelung, die bei Nichteinhaltung nicht sanktioniert wird, ist wirkungslos.“ Zudem hätte die neue vierte Stufe der Ausgleichsabgabe höher ausfallen müssen und schneller angewendet werden müssen.

Das sieht der VdK ebenfalls so: „Die neu eingeführte Staffel für 'Nullbeschäftiger' der Ausgleichsabgabe hätte gern auch höher ausfallen können. Unsere Hoffnungen auf höhere Einnahmen sind gedämpft: Letztlich sind nur rund 4.000 größere Unternehmen bei den Nullbeschäftigern tatsächlich vom höheren Staffelbetrag betroffen“, sagte Bentele. Die Ausgleichsabgabe habe sowohl eine Anreiz- als auch eine Ausgleichsfunktion. „Ich verstehe sie als ein Gebot der Solidarität mit Unternehmen und Organisationen, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen, die Arbeitsplätze entsprechend ausstatten und die Pflichtquote übererfüllen.“

Claudia Rustige, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen, hält sich mit einer Bewertung der neuen Stufe der Ausgleichsabgabe noch zurück: „Da kann man nur abwarten, ob sie tatsächlich zu mehr Beschäftigung führt“, sagte sie dem epd. „Aber wenn nicht, heißt es zumindest, dass mehr Geld in der Kasse ist, um beschäftigungsbereiten Arbeitgebern und auch Inklusionsunternehmen die notwendigen Nachteilsausgleiche wie etwa Lohnkostenzuschüsse zu bezahlen. Also ein Mehrwert so oder so.“

Anderer Kurs bei der Nutzung der Ausgleichsabgabe

Engelmeier sagt: „Bisher wurde der größte Teil der Ausgleichsabgabe in die Förderung von Werkstätten gesteckt. Das soll sich nun ändern.“ Das Geld der Ausgleichsabgabe solle vermehrt zur Förderung der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt dienen. Diese Zahlungen fließen in den Ausgleichsfonds, aus dem Maßnahmen zur Förderung der Inklusion am Arbeitsmarkt finanziert werden. Das können innovative Projekte sein, aber auch Hilfsmittel und Unterstützungen für behinderte Menschen und Unternehmen, die sie einstellen.

Die neu eingeführte vierte Stufe der Ausgleichsabgabe von 720 Euro je Monat ab März 2025 sei gut. Doch dass diese Kosten weiter von der Steuer abgesetzt werden könnten, bleibe völlig unverständlich. Dennoch sei die Regelung ein wichtiger weiterer Schritt hin zu mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. „Und wichtig ist auch, dass Menschen mit Behinderungen eine bessere Schul- und Ausbildung erhalten, um überhaupt als qualifizierte Arbeitnehmer für den Jobmarkt zur Verfügung zu stehen“, sagt die SoVD-Vorstandsvorsitzende.

Der Landschaftsverband Rheinland betont, dass die „Ausgleichsabgabe keine Strafzahlung ist“. Sie solle in erster Linie einen kostenmäßigen Ausgleich gegenüber den Arbeitgebern schaffen, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen und denen daraus erhöhte Kosten entstehen.

Hoffnung auf Ansprechstellen für Arbeitgeber

Auch hier erwarten die Experten positive Effekte des neuen Gesetzes, zu dem auch der flächendeckende Aufbau von Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) gehört. Sie nehmen eine Lotsenfunktion im System der beruflichen Inklusion war und sie sensibilisieren Firmen für das Thema der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Sie besuchen die Betriebe vor Ort und nehmen an Informationsveranstaltungen von Verbänden, Bildungsträgern, Innungen oder Kreishandwerkerschaften teil. Das LVR-Inklusionsamt hofft, dass sich die Bereitschaft zur Einstellung von Menschen mit Schwerbehinderung bei den Arbeitgebenden durch die Einführung der vierten Staffel der Ausgleichsabgabe im Zusammenspiel mit den Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber erhöhen werde.

„Wir brauchen flächendeckend einen Fachdienst, der den ganzen Baukasten der Unterstützungsinstrumente kennt und dann daraus personenzentriert mit dem Betroffenen die richtigen Bausteine zusammenstellt und sich mit dem Betroffenen auf den Weg macht, berufliche Perspektiven außerhalb der Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu entwickeln“, sagt Claudia Rustige. Ein Bedarf an Arbeitskräften sei auf jeden Fall da. „Im Arbeitsmarkt und auch in Inklusionsbetrieben. Aber man muss das Sich-Kennenlernen von Betrieb und Beschäftigten mehr in den Fokus nehmen. Dann kann das was werden.“ Und sie lenkt den Blick auf die zahlreich vorhandenen Außenarbeitsplätze der Werkstätten in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes. Hier sollte regelmäßig überprüft werden, ob eine Umwandlung in einen echten sozialversicherten Budgetarbeitsplatz möglich ist. „Hier schlummert vermutlich auch ein nicht unerhebliches Potenzial an 'echter' Beschäftigung im Arbeitsmarkt“, vermutet die Expertin.

Verena Bentele mahnte weitere Reformen an: „In der Diskussion um die Teilhabe am Arbeitsleben müssen wir viel mehr jene Menschen berücksichtigen, die bisher als dauerhaft erwerbsgemindert gelten und teils in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen arbeiten.“ Das Werkstattsystem müsse dringend reformiert werden. „Vor allem die Finanzierung der Werkstätten sorgt dafür, dass die Leistungsträger oft ungern auf den ersten Arbeitsmarkt vermitteln, was eigentlich Auftrag der Werkstätten als Ort der Rehabilitation wäre.“

Dirk Baas


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