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Inklusion

Interview

SoVD: Arbeitgeber müssen bei Jobs für Menschen mit Behinderung umdenken




Michaela Engelmeier
epd-bild/Christian Ditsch
Das "Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes" soll mehr Behinderte in reguläre Jobs bringen. Der große Wurf ist das nicht, sagt SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Wo die Schwächen der neuen Regelungen liegen, erläutert sie im Interview.

Berlin (epd). „Arbeitslose Menschen mit Behinderungen sind häufig sehr gut qualifiziert und werden oft wegen Berührungsängsten nicht als potenzielle Arbeitnehmer in den Blick genommen“, sagt Michaela Engelmeier. Das müsse sich ändern, sagt die Bundesvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Der Fachkräftemangel in Deutschland wird immer lauter beklagt. Zugleich ist die Arbeitslosenquote behinderter Menschen unverändert mehr als doppelt so hoch als in der übrigen Bevölkerung. Warum geht es hier nicht voran?

Michaela Engelmeier: Ich vermute, dass nach wie vor noch zu viele Menschen erst an die Behinderung, also an einen vermeintlichen Mangel, und dann erst an die Qualifikation denken. Dabei gibt es, wenn nötig, viele Unterstützungsmöglichkeiten, um den Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung gut zu gestalten. Hier besteht leider noch das Problem, dass die Verfahren bei den Integrationsämtern zu lange dauern, um tatsächlich Unterstützungsleistungen zu bekommen.

epd: Seit Januar gilt das „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“, das mehr Behinderte in reguläre Jobs bringen soll. Ist das der von vielen Sozialverbänden erhoffte große Wurf?

Engelmeier: Wir begrüßen, dass nun die 4. Stufe der Ausgleichsabgabe eingeführt wurde. Das haben wir lange gefordert. Sie soll dazu beitragen, dass der eine oder andere Arbeitgeber doch einen Menschen mit Behinderung einstellt, bevor er die Ausgleichsabgabe zahlt. Wir kritisieren allerdings, dass die Bußgeldvorschrift, die bisher für beschäftigungspflichtige Arbeitgeber galt, abgeschafft wurde. Damit fehlt nun eine Sanktionsmöglichkeit für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht nicht erfüllen. Jede Regelung, die bei Nicht-Einhaltung nicht sanktioniert wird, ist wirkungslos. Darüber hinaus kritisieren wir, dass die Ausgleichsabgabe als Betriebsausgabe steuerlich absetzbar ist. Damit entfaltet sie auch keine Sanktionsfunktion.

epd: Im Jahr 2022 waren 10,8 Prozent der schwerbehinderten Menschen arbeitslos. Die allgemeine Erwerbslosenquote betrug 6,4 Prozent. Eine schnelle Trendwende scheint kaum möglich. Was macht Ihnen Hoffnung, zumindest einen kleinen Schritt voranzukommen?

Engelmeier: Es ist gut, dass über diese Gesetzesänderung Menschen mit Behinderungen mal wieder Aufmerksamkeit geschenkt wurde und damit deutlich wurde, dass man bei dem so oft beklagten Fach- und Arbeitskräftemangel Menschen mit Behinderungen auch mehr als bisher als gute Arbeitskräfte in den Blick nehmen soll. Arbeitslose Menschen mit Behinderungen sind häufig sehr gut qualifiziert.

epd: Sie nehmen primär die Unternehmen in die Pflicht, mehr behinderte Menschen einzustellen. Aber ist es nicht auch oft so, dass Betroffene lieber in der geschützten Sphäre der Werkstätten bleiben wollen?

Engelmeier: Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind zuallererst für Menschen mit kognitiven Einschränkungen eine Möglichkeit, am Arbeitsleben teilzuhaben. Die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen, die in Werkstätten arbeiten, nimmt leider ebenfalls zu. Es ist gut, dass das „Budget für Arbeit“ geschaffen wurde, mit dem Unterstützungsleistungen gezahlt werden, damit auch Menschen, die zuvor in einer Werkstatt gearbeitet haben, die Möglichkeit bekommen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Das Budget für Arbeit, das 2016 eingeführt wurde, wird allerdings noch viel zu selten genutzt. Wichtig ist auch, dass die Menschen, die den Schritt aus der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt wagen, eng begleitet werden, um in der „normalen“ Arbeitswelt Fuß zu fassen.

epd: Sie sagen, das neue Gesetz mache den Arbeitsmarkt inklusiver, doch es sei zugleich ein Schritt zurück. Was konkret bemängeln Sie bei den neuen Regelungen?

Engelmeier: Wir kritisieren vor allem, dass die Möglichkeit des Erhebens eines Bußgeldes abgeschafft wurde. Als Argument wird angeführt, die „Nullbeschäftiger“ müssten jetzt eine Ausgleichsabgabe von 720 Euro zahlen und das sei genügend Bestrafung. Das greift aus unserer Sicht nicht, weil mit dieser Abschaffung alle beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber entlastet werden, nicht nur die „Nullbeschäftiger“. Damit fällt für alle Arbeitgeber das ohnehin schon schwache Mittel der Bußgeldzahlung weg. Wenn es keine Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße gibt, geht jede Verpflichtung ins Leere - so auch hier.

epd: Das Gesetz soll auch dazu dienen, die Beschäftigung Schwerbehinderter zielgenauer machen. Wie soll das in der Praxis aussehen?

Engelmeier: Menschen mit Behinderungen sollen mehr Unterstützung erhalten, am ersten Arbeitsmarkt tätig zu werden. Bisher wurde der allergrößte Teil der Ausgleichsabgabe in die Förderung von Werkstätten gesteckt. Das soll sich nun ändern. Das Geld der Ausgleichsabgabe soll zukünftig zur Förderung der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt dienen. In das Gesetz wurden sogenannte „Einheitliche Ansprechstellen“ aufgenommen, die für Arbeitgeber eine Art Lotsenfunktion einnehmen und etwa bei Antragstellungen sowie der Aufklärung zu Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen sollen. Auch die Genehmigungsfiktion der Anträge beim Integrationsamt soll eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt fördern, doch da sehen wir noch viele praktische Probleme.

epd: Hilft das neue Gesetz, die Hemmschwellen bei der Anstellung von Menschen mit Behinderung zu senken? Falls nicht, was müsste sich an den Strukturen ändern?

Engelmeier: Ja, grundsätzlich ist das Gesetz ein Schritt nach vorne. Es bringt Menschen mit Behinderungen als potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Stück weiter aufs Tableau. Es ist ein weiterer Schritt, um bei Arbeitgebern eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen. Dennoch müssen noch viele strukturelle Änderungen folgen, wie etwa die bessere Barrierefreiheit. Ist die nicht gegeben, kann auch der beste Arbeitnehmer, der mit einer Behinderung lebt, seine Arbeit nicht ausführen. Es ist vor allem wichtig, bei benötigten Hilfen die Antragsverfahren deutlich zu beschleunigen und zu vereinfachen.

epd: Es wurde eine neue, höhere Strafe für Firmen eingeführt, die trotz Verpflichtung keine Menschen mit Behinderung beschäftigen? Werden die drohenden 720 Euro monatlich wirklich Wirkung zeigen?

Engelmeier: Wir haben gefordert, dass die Ausgleichsabgabe höher sein muss, um Wirkung zu entfalten. Aber es ist gut, dass es nun diese 4. Stufe der Ausgleichsabgabe gibt. Allerdings wird das nicht zu einem grundsätzlichen Kulturwandel führen. Es genügt, nur einen einzigen Menschen mit Behinderung einzustellen, um sich von der Zahlung zu befreien. Es ist aber ein wichtiger weiterer Schritt hin zu mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Und wichtig ist auch, dass Menschen mit Behinderungen eine bessere Schul- und Ausbildung erhalten, um überhaupt als qualifizierte Arbeitnehmer für den Jobmarkt zur Verfügung zu stehen.

epd: Diese erhöhten Zahlungen werden erst im März 2025 fällig. Wurde hier nicht viel Zeit vertan?

Engelmeier: Ja, das halten wir für nicht angemessen. Als Argument wird angeführt, mit dieser Übergangszeit könnten sich jetzt die angesprochenen Arbeitgeber überlegen, ob sie nicht einen Menschen mit Behinderung einstellen und sich entsprechend darauf vorbereiten. Wir denken allerdings, es ist nicht neu, dass es viele qualifizierte Menschen mit Behinderungen gibt, die man gut in ein Unternehmen integrieren kann.



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