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Im Bann der Online-Sportwetten




Online-Sportwettenanbieter auf einem Smartphone
epd-bild/Christian Ditsch
Rund 1,3 Millionen Menschen bundesweit sind süchtig nach Glücksspielen. Die Folgen können fatal sein. Viele Betroffene verlieren weitaus mehr als nur Geld. Ein ehemaliger Spielsüchtiger berichtet, wie er in den Bann der Online-Sportwetten geriet.

Berlin, Bremen (epd). Mathias Kupper ist bereits als Kind in Berührung mit Glücksspielen gekommen. „Meine Eltern haben zu Hause häufig Poker gespielt. Anfangs waren es kleine Beträge und es ging nur um den Spaß“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Auch er selbst habe früh angefangen zu spielen. Zunächst Lotto, dann kamen Sportwetten hinzu. „Die Einsätze wurden immer größer“, sagt der gelernte Maschineneinrichter.

Im Herbst 2014 stieß der Berliner auf Werbeangebote, bei denen neue Spieler mit 100 Euro Startgeld geworben wurden. „Das ist jedoch ein Trick. Man musste das Doppelte einsetzen, um überhaupt einsteigen zu können“, weiß Kupper heute. Spielhallen hätten ihn nie gereizt. Seine Sucht spielte sich online ab. „Das Problem hierbei ist die Geschwindigkeit und dass man nicht extra irgendwo hinfahren muss.“ So integrierte sich die Sucht in seinen Alltag. „Ich spielte beim Gassigehen mit dem Hund, auf der Arbeit am Schreibtisch, nachts im Bett. Es ging wahnsinnig schnell.“

Rückfall in alte Muster

Über zwei Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 70 Jahren weisen eine „Störung durch Glücksspiele“ auf. Das geht aus Zahlen des Glücksspiel-Surveys 2021 des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) hervor. Das sind etwa 1,3 Millionen Menschen bundesweit. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Nach einem halben Jahr Spielsucht schaffte Kupper zunächst den Absprung. Doch nach eineinhalb Jahren Pause ist er rückfällig geworden. Der Rückfall wurde ausgelöst durch ein Rubbellos. „Ich war gerade einkaufen und bin an einem kleinen Kiosk vorbeigelaufen, wo Rubbellose verkauft wurden“, erinnert sich Kupper. „Ich dachte mir, zwei Euro könne ich problemlos investieren.“ Da er 10 Euro gewann, war er überzeugt davon, einen Glückstag zu haben. Daraufhin sei er nach Hause gegangen und habe sein altes Tipico-Konto entsperren lassen. „Das ging sehr schnell und problemlos. Ich bin zurückgefallen in alte Muster. Die Spirale hat sich dann wieder gedreht.“ In seinem Freundes- und Bekanntenkreis habe niemand etwas von seiner Sucht bemerkt. „Ich habe es gut geheim gehalten“, sagt Kupper.

Für Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen ist das keine Überraschung. „Spieler werden mit der Zeit zu guten Schauspielern. Sie bauen sich ein Lügengerüst auf und führen teilweise über Jahre ein Doppelleben“, sagte der Psychologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch was das Leihen von Geld betrifft, seien Glücksspielsüchtige oftmals sehr erfinderisch und überzeugend. „Wird das Geld zum Zocken dennoch knapp, sinken moralische Hemmschwellen. Zunächst muss das Sparschwein der Kinder daran glauben, am Ende einer Spielerkarriere stehen nicht selten diverse Akte der Beschaffungskriminalität.“

„In einer Abwärtsspirale“

Es seien Einzelfälle bekannt, bei denen Mitarbeitende Kundengelder veruntreut haben, um damit selbst - etwa an der Börse - zu zocken. Die Geldprobleme sorgen bei Betroffenen für Scham. In der Folge ziehen sie sich immer weiter zurück, wodurch sie noch mehr Zeit für ihre Sucht haben. Finanzielle und psychische Probleme verstärken sich gegenseitig, was häufig in einer Abwärtsspirale endet.

„Es liegt auf der Hand, dass die Glücksspielsucht eine extrem teure Suchterkrankung darstellt“, sagt Hayer. „Zudem gibt es im Gegensatz zu anderen Suchterkrankungen keine von außen sichtbaren Krankheitsanzeichen, wie Nadeleinstiche im Falle einer Drogenabhängigkeit oder ein torkelnder Gang bei einer alkoholbezogenen Störung.“ Betroffenen würde es daher vergleichsweise einfach fallen, ihre Erkrankung vor dem sozialen Umfeld geheim zu halten. Was dazu führt, dass sie sich häufig zu spät Hilfe suchen - oder gar nicht. „Nur etwa zehn bis 15 Prozent nehmen entsprechende Beratungs- und Behandlungsangebote wahr“, sagt der Glücksspielforscher.

Nicht jedem gelinge es, seine Sucht zu überwinden. „Ein Drittel aller Betroffenen mit Kontakt zum Hilfesystem lebt dauerhaft abstinent, bei einem weiteren Drittel kommt es trotz einzelner Rückfälle zu einer erheblichen Verbesserung ihrer finanziellen und psychosozialen Situation“, sagt Hayer. Die restlichen Personen versuchen den Ausstieg oftmals mehrfach und mit verschiedenen Mitteln, leider aber ohne dauerhaften Erfolg.

Zutritt zu Spielbanken und Spielhallen verwehrt

Eine Strategie, die viele Betroffene wahrnehmen, ist, sich selbst sperren zu lassen. In der bundesweiten Sperrdatei „Oasis“ können sich Betroffene eintragen lassen. Auch Angehörige können die Sperrung beantragen. Bevor man einen Spielautomaten bedient, muss man erst seinen Personalausweis durch ein Prüfgerät ziehen. Ist man in Oasis gesperrt, wird das vom System erkannt, und es ist nicht möglich zu spielen. Den Süchtigen ist dann der Zutritt zu Spielbanken und Spielhallen bundesweit verwehrt. Auch für lizenzierte Sportwetten und Online-Casinos ist man blockiert.

Aus Daten der beim Regierungspräsidium Darmstadt geführten Oasis-Sperrdatei geht hervor, dass sich die Zahl der Sperren in den vergangenen Jahren mehr als vervierfacht hat. Waren es Ende 2020 noch 47.000, waren es im Mai vergangenen Jahres bereits 193.000 registrierte Sperrungen.

Nach Kuppers Rückfall habe er sich professionelle Hilfe im Café Beispiellos in Berlin geholt, einem Angebot der Caritas. Hier habe er an einem Programm teilgenommen. Alle drei bis vier Wochen haben Betroffene ein Einzelgespräch mit einem Therapeuten zum persönlichen Austausch. Einmal die Woche treffe man sich in einem Stuhlkreis mit 15 bis 20 anderen Betroffenen und tausche sich aus über Fragen, Bedürfnisse und Sorgen.

Nach dem zwölfwöchigen Kurs ist Kupper weiter zur Selbsthilfegruppe gegangen. Seit knapp sieben Jahren besucht er einmal im Monat die Gruppentreffen, die immer montags um 18 Uhr stattfinden. Heute wolle er vorwiegend Präventionsarbeit leisten, um anderen zu helfen. Die Angst, rückfällig zu werden, sei sein ständiger Begleiter. „Was mich zurückhält, ist das Wissen, was ich zu verlieren habe.“

Stefanie Unbehauen


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