

Kassel (epd). Jobcenter können mit der Trennung verheirateter Langzeitarbeitsloser nicht mehr von einem „Füreinandereinstehen“ des Ehepaares ausgehen. Verletzte der selbstständig tätige Ehemann seine Mitwirkungspflicht, indem er dem Jobcenter Belege über seine Ein- und Ausgaben vorenthielt, darf das Jobcenter die Hilfe für die später getrennt lebende Ehefrau und den zweijährigen Sohn nicht auf „Null“ setzen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 13. Dezember. Weil die Frau nicht an der Beschaffung der Belege habe mitwirken können, dürfe das Jobcenter ihr nicht einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten vorwerfen. Von der Begründung her dürfte das Urteil auf das Bürgergeld übertragbar sein.
Damit bekam die Klägerin, eine Langzeitarbeitslose aus dem Altmarkkreis Salzwedel, sowie ihr heute siebenjähriger Sohn von den obersten Sozialrichtern recht. Frau und Sohn bildeten von November 2018 bis April 2019 mit dem Ehemann und Vater des Kindes eine Bedarfsgemeinschaft. Der Mann verfügte über selbstständige Einkünfte aus einer Autowerkstatt, war aber auf aufstockende Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Wegen der schwankenden Einkünfte hatte das Jobcenter das Arbeitslosengeld II nur vorläufig bewilligt. Im Mai 2019 trennten sich die Eheleute.
Beim Jobcenter gab der Ehemann an, dass er durchschnittlich monatlich 173,33 Euro verdient habe. Das wollte die Behörde genauer überprüfen und verlangte Belege wie Rechnungen, Quittungen oder ein Kassenbuch. Doch da Mann gab an, er verfüge über keine Belege. Daraufhin setzte das Jobcenter das Arbeitslosengeld II wegen fehlender Mitwirkung auf „Null“ fest - und zwar nicht nur für den Ehemann, sondern auch für die getrennt lebende Ehefrau und den damals zweijährigen Sohn. Die unterbliebene Vorlage der Belege stelle eine Verletzung der Mitwirkungspflicht dar, hieß es zur Begründung. Im Streitzeitraum erhaltene Hartz-IV-Leistungen in Höhe von rund 4.300 Euro sollten daher auch Frau und Sohn zurückbezahlen.
Denn, so die Behörde, im Streitzeitraum habe die Bedarfsgemeinschaft noch bestanden. Weil der Ehemann seine Mitwirkungspflicht verletzt habe, habe das auch Rechtsfolgen für die Ehefrau. Dass die Eheleute sich später getrennt hatten, ändere daran nichts.
Doch das BSG gab nun der Klägerin und dem Sohn recht. Bei dem Arbeitslosengeld II, dem heutigen Bürgergeld, handele es sich um individuelle Hilfeleistungen, bei denen die Betroffenen individuelle Mitwirkungspflichten hätten. Hier habe die Bedarfsgemeinschaft wegen der Trennung der Eheleute aber nicht mehr bestanden. Die Belege des Ehemannes habe die Klägerin nicht beschaffen können.
Mit dem Scheitern der Bedarfsgemeinschaft könne „nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die an diese Gemeinschaft geknüpfte Erwartung des ‚Füreinandereinstehens“ weiterhin funktioniert", urteilte das BSG. Eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht liege daher nicht vor.
Das Jobcenter sei verpflichtet, für den Streitzeitraum Arbeitslosengeld II zu gewähren - und zwar unter Anrechnung von Einkünften des Ehemannes in Höhe der angegebenen 173,33 Euro. Das Kind habe zudem Anspruch auf Sozialgeld.
Am 14. Februar 2018 hatte das BSG allerdings bei einer bestehenden Bedarfsgemeinschaft entschieden, dass die Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Familienmitglieds Auswirkungen auf die anderen Angehörigen haben kann. Im entschiedenen Fall hatte ein 21-jähriger Sohn die selbstständigen Einkünfte dem Jobcenter trotz Aufforderung nicht mitgeteilt. Daraufhin hob die Behörde den Hartz-IV-Anspruch auf und zahlte auch nicht dessen Anteil an den Unterkunftskosten.
Hartz-IV-Leistungen seien nicht dafür da, die Wohnung für Menschen zu finanzieren, die gar nicht im Leistungsbezug stehen, urteilte das BSG. Hier wisse man gar nicht, ob der Sohn Einkünfte habe und wie hoch diese sind.
Geht das Jobcenter von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht aus, muss die Behörde aber auch konkret und verständlich auf die Folgen hinweisen, urteilte das Landessozialgericht (LSG) München am 6. Mai 2021. Hier hatte das Jobcenter eine erkrankte Hartz-IV-Bezieherin zum Arztbesuch aufgefordert, um ihre Erwerbsfähigkeit zu überprüfen. Als sie dem wiederholt nicht nachkam, strich die Behörde die Hilfeleistung wegen fehlender Mitwirkung. Zu Unrecht, befand das LSG. Denn mit dem Vorwurf der Verletzung der Mitwirkungspflicht müsse das Jobcenter auch über die rechtlichen Folgen aufklären. Daran habe es hier gefehlt.
Az.: B 7 AS 24/22 R (BSB, Mitwirkungspflicht Bedarfsgemeinschaft)
Az.: B 14 AS 17/17 R (BSG, Mitwirkungspflicht Unterkunftskosten)
Az.: L 16 AS 652/20 (LSG München)