sozial-Politik

Armut

Interview

Kinderschutz-Expertin: "Armut ist oft sehr unauffällig"




Paula Wenning
epd-bild/Picasa
Im Landkreis Starnberg können sich die Menschen im bundesweiten Vergleich am meisten leisten - trotz der hohen Lebenshaltungskosten in der Region. Die hohen Preise müssen aber auch diejenigen bezahlen, die nur wenig Geld haben. Dadurch könnten sie stärker isoliert sein, sagt die Fachreferentin für soziale Sicherung beim Kinderschutzbund Bundesverband, Paula Wenning, im Interview.

Berlin (epd). In einer wohlhabenden Gegend zu leben, hat für arme Familien Vor- und Nachteile, sagt Paula Wenning. In finanziell gut ausgestatteten Kommunen sei die öffentliche Infrastruktur oft auch für arme Kinder besser. Aber: „Man muss sagen, das Teilhabe für armutsbetroffene Kinder überall im Land ein Traum ist, der nicht erfüllt wird.“ Das Geld sei zu knapp bemessen und das sei auch in strukturell schwächeren Regionen nicht anders. Die Fragen stellte Anna Schmid.

epd sozial: Macht es für armutsbetroffene Familien einen Unterschied, wo sie leben?

Paula Wenning: Ja, massiv. Es ist aber nicht so, dass das eine besser ist als das andere. Es ist einfach sehr anders und es gibt Vor- und Nachteile. In Deutschland sind die regionalen Unterschiede immens. Wir haben Städte, wo fast 40 Prozent der Kinder im Bürgergeldbezug leben. Der traurige Spitzenreiter ist Gelsenkirchen. Und dann gibt es Städte, da sind es weniger als zehn Prozent.

epd: Welche Nachteile hat es für diese Menschen, in einer wohlhabenden Umgebung zu leben?

Wenning: Oft ist die Infrastruktur nicht auf ihre Situation ausgelegt. Die Menschen sind dann immer ein bisschen die Ausnahme. Ein Kind, das das einzige ist, bei dem es zu Hause knapp ist, während die anderen sehr viel Geld haben, fällt viel mehr aus dem Rahmen als eines, dessen halbe Klasse betroffen ist. Wenn eine Familie beim Amt einen Antrag stellen muss, damit die Kosten für eine Klassenfahrt übernommen werden, ist es vielleicht das erste Mal, dass die Schule so etwas zu Gesicht bekommt. Dann ist das alles ein bisschen schwieriger und die Menschen müssen sich ganz anders entblößen, als wenn das einfach das Standard-Prozedere in den Schulen ist.

epd: Wie geht es den Kindern psychologisch damit?

Wenning: Erwachsene unterschätzen, wie genau Kinder mitkriegen, wo sie sich einsortieren können. Kinder sind sehr feinfühlig und wissen das genau. Armut ist wahnsinnig stigmatisiert. Wir wissen, dass auch Kinder versuchen, nicht aufzufallen. Sie sagen dann zum Beispiel, dass sie Bauchschmerzen haben, wenn an einem Tag eine Veranstaltung ist, die Geld kostet und für Mama und Papa schwierig zu finanzieren ist. Wenn die Kita-Fahrt 200 Euro kostet und keiner sich Gedanken macht, weil es noch nie ein Problem war, ist der Druck von außen auch ein anderer, als wenn die Kita schon weiß, wie der Hase läuft. Wenn ein Kind das einzige Kind ist, dem es so geht, fehlt auch der Vergleich zu anderen Kindern, wo es ähnlich ist. In dieser Situation isoliert und allein zu sein, macht einen sehr großen Unterschied für die Kinder.

epd: Welche Vorteile hat das Leben in einer gut situierten Umgebung für die Familien?

Wenning: In finanziell gut aufgestellten Kommunen wird viel Infrastruktur rund um die Kinder refinanziert. Es gibt dann bessere Angebote, weil einfach mehr Geld in den Kommunen da ist. Das kann zum Beispiel ein kostenloses Angebot für die Nachmittagsbetreuung sein oder eine bessere Kita-Infrastruktur. Zusätzlich gibt es oft finanzstarke, private Förderangebote. Das sind zum Beispiel Fördervereine an Schulen, die den ein oder zwei Kindern, die sie nicht selbst zahlen können, die teure Klassenfahrt finanzieren. In den deutschen Brennpunktschulen gibt es das kaum.

epd: Wie bemerken Außenstehende Armut in wohlhabenden Gegenden?

Wenning: Das ist tatsächlich oft sehr schwierig. Gerade bei Kindern kann man es häufig nicht erkennen, weil die Eltern ihr letztes Hemd geben, damit es ihnen gut geht. In den Medien wird das schreckliche Bild vermittelt, dass die Kinder dann mit kaputter Kleidung herumlaufen. Aber die Eltern geben alles, damit das eben nicht so ist. Armut ist oft sehr unauffällig.

epd: Von ihrem Geld können Familien sich in einer günstigeren Gegend aber mehr leisten als dort, wo die Lebenshaltungskosten höher sind. Wie wirkt sich das aus?

Wenning: Wenn eine Familie von Bürgergeld lebt, bezahlt das Amt die Kosten für die Unterkunft bis zu einer gewissen Angemessenheitsgrenze. Das orientiert sich in der Regel am lokalen Mietspiegel. Das heißt, am Starnberger See, wo eine Wohnung mehr kostet, werden diese Mehrkosten auch übernommen. Wohnkosten sind für die Kinder im Bürgergeldbezug also nicht so das Thema. Aber natürlich sind da andere Dinge, die mehr kosten. Man muss allerdings sagen, das Teilhabe für armutsbetroffene Kinder überall im Land ein Traum ist, der nicht erfüllt wird. Etwa, wenn es ein Problem ist, dass das Geld für den Kindergeburtstag nicht da ist. Oder wenn Eisessen oder ein Besuch im Kino nicht drin sind. Das Geld ist zu knapp bemessen und das ist auch in strukturell schwächeren Regionen nicht anders.



Mehr zum Thema

Mittellos unter reichen Nachbarn

Im Kreis Starnberg ist das Leben teurer als fast überall sonst in Deutschland. Allerdings haben die meisten dort auch mehr Geld als die Bevölkerung im Rest des Landes. Aber: Die hohen Lebenshaltungskosten müssen auch die Armen in Starnberg bezahlen.

» Hier weiterlesen