Stuttgart, Berlin (epd). Bei einem Streik in einem Krankenhaus muss die Notversorgung der Bevölkerung gewährleistet sein. Allerdings muss die Gewerkschaft nur eine Minimalversorgung sicherstellen, stellte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in einem am 9. September veröffentlichten Urteil klar. „Der Notdienst dient nicht dazu, den Betrieb so weit wie möglich aufrechtzuerhalten“, entschieden die Stuttgarter Richter.
Konkret ging es um mehrere, von der Gewerkschaft ver.di aufgerufene Warnstreiks zwischen einem und vier Tagen im Juli 2023 bei der Klinik-Technik-GmbH (KTG). Dabei handelt es sich um eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Uniklinikums Heidelberg, die für die Erbringung technischer Dienstleistungen für das Klinikum verantwortlich ist.
So ist das Unternehmen auch für die Behebung von Störungen der „Automatischen Warentransport-Anlage“ (AWT-Anlage) zuständig. Bei der Anlage handelt es sich um ein sieben Kilometer langes unterirdisches Schienennetz mit 22 vollautomatischen Aufzügen. Dort werden Waren wie Sterilgut, Medikamente, medizinische Verbrauchs- und Hygienematerialien, Wäsche sowie Patienten- und Personalverpflegung zwischen den Kliniken und den Waschanlagen transportiert. Die für den Transport verwendeten Container werden vollautomatisch gereinigt, desinfiziert und getrocknet. 1.200 Betten des Universitätsklinikums sind an das System angeschlossen.
Im Streit um einen neuen Tarifvertrag hatte ver.di mehrere Warnstreiks bei KTG durchgeführt. Eine zunächst einvernehmlich geschlossene Notdienstvereinbarung, die auch die AWT-Anlage umfasste, wurde von KTG aufgekündigt. Ver.di gab daraufhin zwar eine einseitige Notdiensterklärung ab, die jedoch nicht mehr die AWT-Anlage einschloss.
Die Kliniktochter verlangte, dass ein Notdienst auch für den „Automatischen Warentransport“ eingerichtet werden müsse - und zwar durchgehend zwischen 5.30 und 21.30 Uhr. Es müssten zwei fachlich geeignete Personen während der Warnstreiks bereitstehen, um Störungen der AWT-Anlage beheben zu können. Andernfalls könnten bei Störungen etwa wichtige Medikamente, Sterilgut oder Wäsche nicht mehr transportiert werden. Patientinnen und Patienten wären gefährdet.
Das LAG urteilte, dass ver.di auch für die AWT-Anlage einen Notdienst gewährleisten muss. „Auch im Arbeitskampf darf akut Erkrankten ärztliche Hilfe nicht verweigert werden.“ Das gelte auch hier, obwohl die KTG selbst keine medizinischen Leistungen erbringt. Der KTG oder dem Universitätsklinikum sei es nicht zumutbar, in wenigen Tagen andere Transportkonzepte zu entwickeln, um einen Ausfall der AWT-Anlage kompensieren zu können.
Allerdings dürfe die Kliniktochter die Gewährleistung eines Notdienstes nicht dazu missbrauchen, den Betrieb so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Dies würde gegen die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit verstoßen. Sicherzustellen sei daher nur eine „Minimal-Versorgung“.
Daher müsse ver.di zwar einem Notdienst für die AWT-Anlage zustimmen, aber nur in eingeschränktem Umfang. Danach reiche die Besetzung mit einer Fachkraft und „einer weiteren nicht notwendigerweise fachkundigen Person“ aus. Zeitlich müsse der Notdienst nur in der Kernzeit der Nutzung von 7 bis 17 Uhr besetzt sein. Die wenigen Transporte davor und danach könnten auch auf andere Weise erfolgen, urteilte das LAG.
Das LAG Berlin entschied in einem Streit zwischen ver.di und den Asklepios-Fachkliniken Brandenburg, dass wegen einer fehlenden schriftlichen Notdienstvereinbarung ein Streik nicht untersagt werden muss. Es reiche aus, dass die Gewerkschaft den zum Patientenschutz erforderlichen Notdienst tatsächlich sicherstellt und damit erhebliche Gesundheitsgefahren der Bevölkerung vermeidet, stellten die Berliner Richter in ihrem Beschluss vom 20. Oktober 2021 fest.
Ver.di hatte im Oktober 2021 zu einem sechstägigen Warnstreik an drei Asklepios-Fachkliniken in Brandenburg aufgerufen. Ziel war, dass die nichtärztlichen Beschäftigten dort genauso vergütet werden sollten wie in den Hamburger Asklepios-Kliniken. Asklepios hielt den Streik für unrechtmäßig, da mit ver.di keine schriftliche Notdienstvereinbarung abgeschlossen werden konnte.
Das LAG entschied, dass eine allein schriftliche Notdienstvereinbarung für die Rechtmäßigkeit des Streiks nicht nötig sei. Es reiche aus, dass ver.di auch ohne Vereinbarung den erforderlichen Notdienst beim Streik des nichtärztlichen Personals tatsächlich sicherstellt. Hier müsse die Gewerkschaft bei einem Teil der Stationen den Notdienst aber noch nachbessern.
Az.: 4 SaGa 3/23 (LAG Stuttgart)
Az.: 12 Ta 1310/21 (LAG Berlin)