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Landlust und "Donutdörfer": Neue Studie zum Zuzug aufs Land




Gemünden im Hintertaunus hat vor allem viel Natur zu bieten.
epd-bild/Dirk Baas
Mehr Platz, günstiger Wohnraum, weniger Anonymität, weniger Dreck: Seit 2017 zieht es immer mehr Menschen in Deutschland aus der Stadt auf das Land. Eine neue Studie untersucht, wie das die Dörfer und Kleinstädte verändert.

Berlin (epd). Immer mehr Menschen in Deutschland ziehen aufs Land. Aktuell erzielten bundesweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne, sagte Frederick Sixtus vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung am 12. September bei der Vorstellung einer Studie in Berlin: „Ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde.“ Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte.

Seit 2017 habe die neue „Landlust“ Fahrt aufgenommen, Corona habe diesen Trend noch einmal verstärkt, sagte Sixtus. Dazu lockten häufig erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, ein schneller Internetanschluss für das digitale Arbeiten und eine gute Kinderbetreuung. Für die kleinen Gemeinden und Städte spielt es den Angaben nach kaum noch eine Rolle, ob sie in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen.

Sechs Gemeinden genauer untersucht

Am Beispiel von sechs Gemeinden in Deutschland mit viel Zuzug hat das Berlin-Institut in Zusammenarbeit mit der Wüstenrot Stiftung untersucht, wie die neue Landlust das Zusammenleben auf dem Land verändert. Jeweils für eine Woche wurden Alteingesessene und Zugezogene in Allmendingen in Baden-Württemberg, Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großharthau in Sachsen, im oberfränkischen Mehlmeisel, in Sanitz bei Rostock und im hessischen Wanfried befragt. Bei der Analyse wurden laut Studienautorin Eva Eichenauer Kommunen in Speckgürteln und klassischen Urlaubsregionen explizit ausgeklammert, um kein verzerrtes Bild zu bekommen.

Die neue Lust aufs Land zieht sich dabei laut Mitautor Sixtus durch nahezu alle Altersgruppen. Die größte Gruppe stellen Familien mit Eltern zwischen 30 und 49 Jahren. Aber auch die sogenannten Berufswanderer zwischen 25 und 30 Jahren suchen sich gerne eine Bleibe abseits der Großstädte. Ebenfalls auf's Land zieht es Menschen über 50 und über 65 Jahren. Dagegen bevorzugt die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen weiterhin die Großstädte.

Zuzug sei grundsätzlich eine gute Nachricht

Das wachsende Interesse am Landleben sei für die kleinen Gemeinden grundsätzlich eine gute Nachricht, sagte Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. So biete es die Chance, viele demografische Herausforderungen ländlicher Regionen abzumildern. Junge Familien mit Kindern sorgten dafür, dass Schule und Kita erhalten bleiben und als Fachkräfte seien sie bei ländlichen Mittelständlern sehr begehrt. Der Zuzug stelle für kleine Gemeinden aber auch eine Herausforderung dar: „Neuzugezogene und Alteingesessene müssen das Zusammenleben aktiv gestalten. Eine funktionierende Dorfgemeinschaft ist kein Selbstläufer“, so Hinz.

Integrationsmotoren seien beispielsweise Sport- und Kulturvereine oder die Freiwilligen Feuerwehren. Wichtig seien auch Treffpunkte wie die Kneipe, der Bäcker, Dorffeste und Gemeinschaftshäuser.

Zusammenleben im Dorf erst lernen

Manche Zugezogenen müssten das Zusammenleben auf dem Dorf erst kennenlernen, sagte Eichenauer. Nachteilig für das Zusammenwachsen sei auch, wenn Zugezogene in Neubaugebiete außerhalb der Ortsmitte ziehen, wo sie unter sich bleiben. Die Verantwortlichen in den Rathäusern stünden deshalb vor der Aufgabe, den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten.

„Ideenreichtum und ehrenamtliches Engagement sind schon immer ein wesentlicher Garant für die Lebensqualität in Dörfern und kleinen Städten“, betont Manuel Slupina, Leiter des Themengebiets Stadt & Land der Wüstenrot Stiftung. „Mit den Zugezogenen kommen weitere potenziell Engagierte, die das Dorfleben mitgestalten und mit Ideen stärken können.“ Eva Eichenauer, Mitautorin der Studie.: „Damit hier kein Nebeneinander oder ‚Dorf im Dorf‘ entsteht, braucht es Angebote wie Dorffeste und Orte, wo sich Neuzugezogene und Alteingesessene begegnen können.“

Ortskerne beleben statt Einfamilienhäuser zu bauen

„Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten zuerst die Ortskerne belebt werden, damit keine sogenannten 'Donutdörfer“ entstehen, wo in der Mitte nichts ist", sagte Eichenauer. Zudem brauche es passende Wohn- und Infrastrukturangebote für alle Alters- und Einkommensgruppen. Beklagt werde beispielsweise der Mangel an Mietwohnungen auf dem Land. Denn während ältere Menschen barrierefreie Wohnungen benötigen, vermissen gerade Jüngere auf dem Land Mietwohnungen. Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen in verschiedener Größe und Ausstattung werden dabei eher den vielfältigen Wohnbedürfnissen gerecht als Einfamilienhäuser.

Hier sieht die Untersuchung vor allem die lokale Politik gefordert: Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollte sie zuerst die Innenentwicklung vorantreiben. „Ortskerne, in denen Häuser verfallen und Begegnungsorte dichtmachen, laden nicht zum Verweilen und zum Austausch ein.“

Markus Geiler, Dirk Baas