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Obdachlosigkeit

Off Road Kids: 10.000 Jugendliche von der Straße geholt



Seit 30 Jahren holt die Stiftung Off Road Kids Jugendliche aus der Obdachlosigkeit. Der Erfolg kann sich sehen lassen: 10.000 junge Menschen bekamen wieder ein Dach über dem Kopf und eine neue Lebensperspektive. Der Hilfsbedarf nimmt zu - die Spenden ab.

Berlin (epd). Markus Seidel, Journalist und Gründer der Off Road Kids Stiftung, hatte eine Vision: Es darf in Deutschland keine Straßenkinder geben. Darum gründete er mit Freunden die Hilfsorganisation Off Road Kids, die heute Streetwork-Stationen in Berlin, Hamburg, Dortmund, Köln und Frankfurt unterhält. Sie ist seit 1993 die erste und einzige bundesweit arbeitende Hilfsorganisation für Straßenkinder, Ausreißer und von Obdachlosigkeit bedrohte Jugendliche. Das 30-jährige Bestehensfest wurde am 8. September in Berlin gefeiert.

Mittlerweile beschäftigt die Stiftung 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch trotz aller Erfolge ist klar: Es gibt weiterhin Straßenkinder, die dringend der Hilfe bedürfen. Und, so ist zu hören: Jeden Monat kommen über 500 neue Jugendliche dazu, so viele, wie nie zuvor.

Vort Ort sein und Vertrauen schaffen

„Unser Erfolgsrezept von Beginn an war, dass wir mit unseren Streetworkern vor Ort sein, Vertrauen schaffen und für viele der jungen Menschen wieder eine Brücke in die Heimat bauen konnten“, sagte Vorstandssprecher Seidel rückblickend. „Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben, in einem Land wie Deutschland“, so Seidel weiter. Faktisch aber nimmt nach seinen Worten die Zahl der Hilfebedürftigen und der Hilferufe weiter zu. Laut Wohnungslosenstatistik leben aktuell rund 38.000 Menschen, die jünger sind als 27 Jahre, in verdeckter oder tatsächlicher Obdachlosigkeit: „Die Situation immer dramatischer.“

Heute seinen die jungen Menschen häufig verdeckt wohnungslos. Sie meldeten sich über Telefon oder Chat bei der virtuellen Streetwork-Station „sofahopper.de“, der bundesweit verfügbaren Online-Hilfe als erster Kontaktstelle. „Meist müssen wir zuerst die akuten Probleme lösen - vom fehlenden Ausweis über die Beantragung von Transferleistungen bis hin zum Schlafplatz für die kommende Nacht“, berichtete Ines Fornaçon, Leiterin der Berliner Streetwork-Station. Ohne Zwang und Repressionen werde gemeinsam nach Lösungen gesucht. „Nur wenn der junge Mensch von sich aus etwas ändern will, kann die Unterstützung greifen“, sagt Fornaçon aus Erfahrung. Und: Erst wenn die akuten Themen gelöst seien, beginne eigentliche Arbeit: das Entwickeln einer neuen Lebensperspektive. „Ohne professionelle Beratung und Begleitung schaffen die jungen Menschen diese wichtigen Schritte nicht“, so die Sozialarbeiterin.

Hilfebedarf sind nimmt, die Spenden gehen zurück

Die Off Road Kids Stiftung finanziert ihre Hilfen zu 90 Prozent durch Spenden finanziert. 2023 werde man voraussichtlich 50.000 Beratungsstunden leisten. „Aber das Spendenaufkommen ist wegen der vielen Krisen stark rückläufig, das stellt uns vor enorme Herausforderungen“, betonte Seidel. Er verwies auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der Arbeit und rechnete vor: „Für jeden jungen Menschen, mit dem wir eine Perspektive für ein dauerhaft selbstbestimmtes Leben mit eigenem Einkommen und Dach über dem Kopf entwickeln, verhindern wir lebenslange Sozialhilfefälle. Jedes Mal spart der Staat etwa 900.000 Euro.“

Ein weiteres Problem außer dem sinkenden Spendenaufkommen ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. „Es gibt kaum noch adäquate Unterkünfte für unsere Klientel“, berichtet Ines Fornaçon aus der Hauptstadt. Sie wünscht sich eine stärkere Finanzierung durch die öffentliche Hand. Das wäre ein Gewinn für alle Seiten: den Staatshaushalt, die Bürger, die unterstützenden Ämter - und die jungen Menschen.

Dirk Baas