Mainz, Erfurt (epd). Arbeitgeber müssen alkoholkranken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nach einer Suchttherapie nicht unbegrenzt eine Chance zur Weiterbeschäftigung bieten. Denn erleidet eine alkoholkranke Kinderpflegerin mehrere Rückfälle, muss sie nicht nur mit einer Kündigung rechnen, sondern auch damit, dass sie bei einer Therapieunwilligkeit als leistungsunfähig eingestuft wird, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in einem am 28. August veröffentlichten Urteil. Sei eine Arbeitnehmerin dann bis Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeit freigestellt, könne sie außerdem keinen sogenannten Annahmeverzugslohn verlangen, betonten die Mainzer Richter.
Im Streitfall ging es um eine alkoholkranke Kinderpflegerin, die seit 1984 in einer katholischen Kita im Bistum Trier beschäftigt war. Nach einer stationären Suchttherapie im Jahr 2017 wurde sie wieder rückfällig.
Ihr Arbeitgeber wollte daraufhin sicherstellen, dass die Frau nicht im alkoholisierten Zustand in der Kita arbeitet. Die Kinderpflegerin erklärte sich 2019 daher freiwillig bereit, täglich Alkoholtests durchzuführen. Als diese viermal positiv ausgefallen waren und die daraufhin von der Arbeit freigestellte Frau auf der Weihnachtsfeier im Dezember 2019 nach Angaben des Arbeitgebers in volltrunkenem Zustand erschienen war, wurde ihr gekündigt.
Die Erzieherin meldete sich ab Januar 2020 arbeitslos und erhob Kündigungsschutzklage. In einem Teilvergleich löste das LAG schließlich das Arbeitsverhältnis zum Jahresende auf.
Der Kita-Betreiber lehnte es ab, der freigestellten Klägerin für das Jahr 2020 eine Vergütung zu bezahlen. Wegen der Gefahr erneuter Alkoholrückfälle habe die Mitarbeiterin ihre Arbeitskraft nicht mehr ordnungsgemäß anbieten können.
Die Frau verlangte für das Jahr 2020 Annahmeverzugslohn sowie Weihnachtsgeld in Höhe von insgesamt 40.310 Euro brutto abzüglich 15.571 Euro netto für erhaltenes Arbeitslosengeld. Sie habe ihre Arbeitskraft erfolglos angeboten und hätte auch problemlos arbeiten können. Kein Anspruch auf Vergütung bestehe nur für zwei Monate, wo sie tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.
Ihre Klage hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Ein Arbeitgeber gerate nicht in Annahmeverzug, „wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken“. Wegen ihrer Alkoholerkrankung und den von der Arbeitgeberin geschilderten Rückfällen sowie den Alkoholtests habe sie als „nicht leistungsfähig“ eingestuft werden dürfen.
Eine weitere Suchttherapie habe sie erst im Sommer 2020 und damit deutlich nach den Kündigungen begonnen. Das Verhalten der Klägerin weise auf eine Therapieunwilligkeit hin. Allein die abstrakte Gefahr einer erneuten Alkoholisierung lasse zwar nicht auf eine Leistungsunfähigkeit schließen. Hier habe jedoch eine konkrete Gefahr für Alkoholrückfälle vorgelegen. Wegen der fehlenden Leistungsunfähigkeit bestehe kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn.
Sind alkoholkranke Arbeitnehmer nach einer Therapie wegen eines erneuten Rückfalls arbeitsunfähig krankgeschrieben, darf der Arbeitgeber ihnen aber nicht die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt am 18. März 2015. Denn bei der Suchterkrankung hätten sie in der Regel nicht selbst die Rückfälle zu verschulden. Nur wenn ein medizinischer Gutachter zweifelsfrei nachweist, dass der Alkoholkranke bewusst und mit eigenem Willen die Arbeitsfähigkeit verursacht hat, könne die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung entfallen.
Unentschuldigte Fehltage eines langjährigen Mitarbeiters aufgrund alkoholbedingter Fehlzeiten können zudem nach einem Urteil des LAG Mainz auch nach mehreren Abmahnungen nicht generell eine Kündigung begründen. Dies gelte dann, wenn der alkoholkranke Mitarbeiter mehrere Schicksalsschläge innerhalb kurzer Zeit zu verkraften hatte - hier der Tod der Mutter und der Schwester - und er therapiewillig ist, heißt es in dem Urteil vom 5. Mai 2015.
Denn es müsse berücksichtigt werden, „dass gerade der Süchtige in besonderem Maß ein möglichst intaktes soziales Umfeld braucht, um überhaupt eine Chance zu haben, sich von der Sucht zu befreien“. In dieser Situation sei es dem Arbeitgeber zuzumuten, dem Mitarbeiter Gelegenheit zu einer Alkoholtherapie zu geben.
Az.: 5 Sa 150/22 (LAG Mainz, Kinderpflegerin)
Az.: 10 AZR 99/14 (Bundesarbeitsgericht)
Az.: 7 Sa 641/14 (LAG Mainz, Fehlzeiten)