Straßburg (epd). Die Unterbringung einer traumatisierten Minderjährigen in einer Flüchtlingsunterkunft für Erwachsene stellt eine unmenschliche Behandlung dar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte am 31. August in Straßburg, dass die italienischen Behörden die Rechte einer heute 23-jährigen Ghanaerin verletzt hätten, die minderjährig insgesamt acht Monate in einer Unterkunft für Erwachsene verbringen musste. Der traumatisierten Frau sei so der Zugang zur nötigen psychologischen Betreuung verwehrt worden. Mehrfache Verlegungsanträge seien ignoriert worden.
Die Ghanaerin kam im Oktober 2016 mit dem Schiff in Italien an. Sie gab an, mehrfach Opfer sexuellen Missbrauchs geworden zu sein, unter anderem durch ihren Ehemann, mit dem sie in einer Zwangsehe verheiratet gewesen sei. Auf ihrer Flucht sei sie auch in Libyen vergewaltigt worden, sodass sie sich zur Flucht nach Italien entschieden habe. Das Risiko, bei der Bootsfahrt zu sterben, habe sie aufgrund des Missbrauchs in Kauf genommen.
Nach einer Flucht aus der Erstaufnahmeeinrichtung wurde sie im Frühjahr 2017 in einem Aufnahmezentrum für Erwachsene im norditalienischen Como untergebracht. Es sei ihr hier zuerst nicht möglich gewesen, einen Asylantrag zu stellen, da der ihr zugewiesene Vormund nicht zu den entsprechenden Terminen erschienen sei. Bereits im Mai 2017 bescheinigte eine Psychologin von „Ärzte ohne Grenzen“, dass die Unterbringung in dem Zentrum für Erwachsene drohe, den psychischen Zustand der Ghanaerin zu verschlechtern.
Dem Urteil zufolge sind die italienischen Behörden der wiederholten Aufforderung durch Gerichte nicht nachgekommen, der jungen Frau psychologische Betreuung zukommen zu lassen. Der EGMR wies darauf hin, dass die Klägerin zwischen Juni und August 2017 vier Ersuchen an die Präfektur, das Polizeipräsidium und das Rote Kreuz richtete, um in ein geeignetes Zentrum verlegt zu werden, das ihre prekäre Lage hätte verbessern können.
Alle Ersuchen blieben laut Gericht unbeantwortet, sodass die Frau bis Oktober 2017 in der Einrichtung bleiben musste. Sie habe somit nicht die Unterbringung und Unterstützung erhalten, die ihre schutzbedürftige Situation erforderte, urteilte der EGMR. Der Gerichtshof sprach der Klägerin 6.000 Euro Schadensersatz sowie 4.000 Euro für die Verfahrenskosten zu.
Az.: 70583/17