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Experten fordern Meldepflicht für schwere Behandlungsfehler



Vor Behandlungsfehlern haben viele Menschen Angst, besonders wenn ihnen eine Operation bevorsteht. Jedes Jahr werden die nachgewiesenen Fälle dokumentiert - aus Sicht des Medizinischen Dienstes fehlt aber für mehr Sicherheit eine Meldepflicht.

Berlin (epd). Jedes Jahr beleuchtet der Medizinische Dienst die Behandlungsfehler in Deutschland. In 3.221 Fällen und damit in jedem vierten der 13.059 ärztlichen Gutachten wurden laut der am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Jahresstatistik ein Fehler und ein Schaden für den Patienten festgestellt. Dass der Fehler auch Ursache des Schadens war, wurde 2.696 Mal nachgewiesen. Nur in diesem Fall haben Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Drei Viertel der Verdachtsfälle wurden nicht bestätigt. Zwei Drittel der Kunstfehler passieren in Kliniken. Auch Pflegefehler gehen in die Zählung ein.

Es ist aber mit dieser Behandlungsfehler-Statistik des Medizinischen Dienstes so, als solle eine Taschenlampe einen Operationssaal ausleuchten. Man müsse von einer 30 Mal höheren Zahl an Fehlern in Krankenhäusern und Praxen ausgehen, sagte der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer, das entspreche einem Prozent aller medizinischen Behandlungen. Bekannt werden den Gutachtern die Fälle nur, wenn sich eine Patientin oder ein Patient mit dem Verdacht auf einen Kunstfehler an seine Krankenkasse wendet und diese den Medizinischen Dienst beauftragt, ein ärztliches Gutachten zu erstellen.

Die Zahl begutachteter Fälle sowie bestätigter Fehler und Schäden bewegt sich seit zehn Jahren auf etwa gleichem Niveau. An der Spitze stehen Beschwerden nach Operationen und Geburten, dann folgen Zahnmedizin und die Pflege. Dies sei kein Anzeichen für besondere Probleme in diesen Sektoren, betonen die Berichterstatter, sondern dafür, dass eine falsch eingesetzte Hüfte oder ein wundgelegener Rücken eher auffallen. Die Bundesärztekammer führt Behandlungsfehler-Statistiken mit ähnlichen Ergebnissen - die Daten werden aber nicht zusammengeführt.

Gronemeyer drang in diesem Jahr besonders darauf, dass zumindest schwerwiegende, vermeidbare Behandlungsfehler, sogenannte Never Events, gemeldet werden müssen. Das sei internationaler Standard und „aus Patientensicht nicht hinnehmbar, dass Deutschland das nicht umsetzt“. Es passierten „immer wieder die gleichen folgenschweren Fehler“, kritisierte Gronemeyer. Er forderte die Bundesregierung auf, im Rahmen der Novellierung des Patientenrechte-Gesetzes eine nationale Never-Event-Liste einzuführen.

Anhand der anonymisierten Fälle kann dann nachvollzogen werden, wo Sicherheitschecks beispielsweise vor einer Operation nicht eingehalten wurden und wie dies zu vermeiden gewesen wären. Im vorigen Jahr wurden von den Gutachtern des Medizinischen Dienstes 165 Never-Events, also Fälle von Patienten- oder Seitenverwechslungen, schwere Medikationsfehler oder zurückgelassenes Operationsmaterial festgestellt.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf der Ampel-Koalition vor, sie habe bisher weder den versprochenen Härtefallfonds für Opfer von medizinischen Behandlungsfehlern noch ein bundeseinheitliches Zentralregister auf den Weg gebracht. Vorstand Eugen Brysch forderte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag) außerdem eine Beweislastumkehr. So weit geht die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, nicht. Sie verlangt aber, den Nachweis zu erleichtern. Wegen hoher Hürden bei der Beweisführung, langer Verfahren und Problemen bei der Schadensregulierung versuchten Patienten häufig gar nicht erst, ihre Rechte durchzusetzen.