sozial-Politik

Armut

Knapp 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut bedroht




Hilfe für Kinder aus armen Familien: Die Arche - Christliches Kinder- und Jugendwerk" in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
14,8 Prozent der unter 18-Jährigen in Deutschland sind armutsgefährdet. Ein wichtiger Faktor aus Sicht des Statistischen Bundesamtes: der Bildungsgrad der Eltern. Um gegenzusteuern, brauche es zwingend die Kindergrundsicherung, sagen Expertinnen und Experten.

Wiesbaden (epd). Knapp 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren im vergangenen Jahr in Deutschland armutsgefährdet. Das entspricht einer Armutsgefährdungsquote von 14,8 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am 26. Juli in Wiesbaden mitteilte. Je niedriger die Bildung der Eltern, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Armut bedroht sind.

Die Armutsgefährdungsquote von unter 18-Jährigen, deren Eltern über einen niedrigen Bildungsabschluss wie etwa einen Haupt- oder Realschulabschluss ohne beruflichen Abschluss verfügten, habe 2022 in Deutschland bei 37,6 Prozent gelegen. Unter Kindern und Jugendlichen von Eltern mit einem mittleren Bildungsabschluss seien 14,5 Prozent armutsgefährdet gewesen. Zu den mittleren Bildungsabschlüssen zählen eine abgeschlossene Berufsausbildung und das Abitur. Hatten die Eltern einen höheren Bildungsabschluss wie etwa einen Meistertitel oder ein abgeschlossenes Studium als höchsten Abschluss, waren 6,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Armut bedroht.

Armutsschwelle liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens

Der zugrundeliegenden Definition zufolge gilt als armutsgefährdet, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2022 lag dieser Wert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1.250 Euro netto im Monat, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren es 2.625 Euro. Dieses Haushaltseinkommen wird auf die Personen des Haushalts nach einem Gewichtungsschlüssel verteilt, der unterschiedliche Haushaltsstrukturen berücksichtigt sowie den Umstand, dass Personen in einem Haushalt durch das Zusammenleben Einsparungen bei laufenden Kosten erzielen.

Armut sei ein mehrdimensionales Phänomen und könne sich nicht nur in finanziellen, sondern auch in sozialen Faktoren niederschlagen, stellte das Statistische Bundesamt heraus. 2022 sei fast jeder vierte (24 Prozent) unter 18-Jährige in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht gewesen. Armut oder soziale Ausgrenzung seien bei einer Person dann gegeben, wenn mindestens eine von drei Bedingungen zutrifft: Ihr verfügbares Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze, ihr Haushalt ist von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen oder sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Beteiligung am Arbeitsleben.

Heidi Reichinnek, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linken, sagte in Berlin, diese Zustände dürfe man nicht hinnehmen. Bildung müsse für Chancengleichheit sorgen: „Möglichkeiten, das zu ändern, gibt es zahlreich: besserer Zugang zu Bildung, längeres gemeinsames Lernen, kostenfreie Nachhilfeangebote, einen echten Schutz vor Armut durch eine vernünftige Kindergrundsicherung.“ All diese Projekte würden jedoch verschleppt oder verhindert.

Kritik am Begriff „Armutsgefährdung“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert den Begriff der Armutsgefährdung. „Er ist aus unserer Sicht grundsätzlich eine Beschönigung der Situation der Betroffenen“, sagte Joachim Rock, Leiter der Abteilung Sozial- und Europapolitik des Verbandes, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung habe, „hat nicht nur ein abstraktes Armutsrisiko, sondern ist schlicht von Armut betroffen“. Zudem seien die Schwellen, bei denen das „Armutsrisiko“ statistisch beginne, immer die Höchstgrenze für die Erfassung. „Die Betroffenen haben regelmäßig ein viel geringeres Einkommen“, betonte der Sozialexperte.

Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, plädierte dafür, die Steuern für Reiche und Vermögende zu erhöhen: „Wir müssen an die Erbschaftssteuer, die Vermögenssteuer oder auch den Spitzensteuersatz ran. Es darf keine Steuerschlupflöcher mehr geben“, sagte Engelmeier der am 27. Juli erschieneen Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Nur so könne verhindert werden, dass die Gesellschaft auseinanderdrifte. Neben der Einführung einer Kindergrundsicherung forderte Engelmeier auch eine Verwaltungsreform: „Es gibt aktuell zu viele Einzelleistungen, die an verschiedenen Orten beantragt werden müssen. Familien sind davon überfordert.“

Eric Großhaus von der Hilfsorganisation Save the Children sprach sich angesichts der Daten ebenfalls für eine Kindergrundsicherung aus. Die dürfe nicht zum sozialpolitischen Flop werden. „Wer bei Kindern spart, spart am falschen Ende und treibt die Armutsspirale weiter an.“ Eine kluge Arbeitsmarktpolitik, ein besseres Bildungssystem und eine gute soziale Infrastruktur könnten langfristig etwas ändern.

Karsten Frerichs, Markus Jantzer