Bremen (epd). In der Küche duftet es nach Curry und Kurkuma, Aromen von Knoblauch und Zwiebeln drängeln sich dazwischen. An den Tischen wird geschält, gehackt und gerührt. Anastasia macht sich über die Zutaten für einen frischen Salat her und zerteilt Romana-Blätter, Rucola, Paprika, Gurke und Cherrytomaten in mundgerechte Stücke. Das 13-jährige Mädchen beteiligt sich am Diakoniekrankenhaus im Bremer Westen an einem einjährigen Programm unter dem Titel „Starke Kinder“ für Heranwachsende mit Übergewicht. Heute wird gekocht.
Der Nachmittag in einer Gruppe von Kindern, Jugendlichen und Eltern zählt zu den Höhepunkten des Projektes. Dazu gehören auch eine ausführliche Ernährungsberatung, Hip-Hop und psychosoziale Begleitung. Beim Kochen machen alle alles, die Gemeinschaft ist Teil des Konzepts: schnippeln oder köcheln, Tische decken und zum Schluss abräumen und abwaschen.
Nach dem Salat als Vorspeise steht eine sommerliche Minestrone auf dem Menüplan, wahlweise ein Linsen-Curry mit Süßkartoffeln. Auf dem Buffet dampfen außerdem Ofenkartoffeln mit Zaziki, daneben stehen Gemüsestreifen mit Dip und als Dessert ein bunter Obstsalat und ein Himbeersorbet mit Agavendicksaft statt Zucker. „Den Agavendicksaft kannte ich noch gar nicht“, sagt Anastasia und freut sich über die kalorienärmere Alternative, die in geringen Mengen zum Süßen reicht.
„Die Kinder lernen hier mit viel Spaß, wie man gesund kocht“, erklärt Projektleiterin Angelika Junge. Sie erkunden die Zutaten, bekommen Übung im richtigen Umgang mit scharfen Messern und heißen Kochplatten. Obendrauf gibt es bei Bedarf Tipps zum Abschmecken. Wer an seiner Kochstation fertig ist, beginnt schon mal mit dem Abwasch oder schreibt Schilder für das Buffet, damit alle wissen, was es gibt.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit krankhaftem Übergewicht steigt neueren Untersuchungen zufolge bundesweit seit Jahren deutlich. „Corona hat das noch beschleunigt“, sagt Gesundheitswissenschaftlerin Junge. Die Pandemie sei ein Einfallstor für Ersatzhandlungen wie Essen gewesen, um Frust, Stress und Einsamkeitsgefühle zu kompensieren. So wuchs die Zahl der von extremem Übergewicht (Adipositas) betroffenen 6- bis 18-Jährigen zwischen 2011 und 2021 nach Daten der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover um 33,5 Prozent. Bei der Teilgruppe der 15- bis 18-Jährigen erhöhte sie sich sogar um 42,5 Prozent.
Studien des Robert Koch-Institutes in Berlin zeigen: Die Zahlen für Übergewicht und Adipositas sind bei sozial benachteiligten Kindern noch deutlich höher. Ist das Übergewicht schon in jungen Jahren extrem, drohen gesundheitliche Folgen wie Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder auch Gelenkverschleiß und eine geringere Lebenserwartung. „Im Kindesalter werden die Grundsteine für eine gute Gesundheit im Erwachsenenalter gelegt“, betont Junge.
Ähnliche Angebote wie im Bremer Diakoniekrankenhaus gibt es auch anderswo. „Durch Dick und Dünn“ heißt beispielsweise das ambulante Schulungsprogramm an der Universitäts-Kinderklinik in Bonn. „Wichtig ist der eigene Antrieb, der Wunsch, etwas zu verändern“, bekräftigt Junge. Der ist bei Anastasia groß, auch weil sie aufgrund ihres Gewichtes in ihrer alten Schule gemobbt worden ist. Das ist jetzt nach einem Schulwechsel vorbei.
„Das sind Erfahrungen, die fast alle betroffenen Kinder und Jugendliche machen“, berichtet Projektleiterin Junge und betont: „Die Kinder haben eine Chance verdient.“ Viele Adipositas-Betroffene steckten in einem Teufelskreis aus geringem Selbstwertgefühl, Frust- und Trostessen, Unbeweglichkeit, Rückzug, Schuld- und Schamgefühlen. Aus diesen Mustern auszubrechen, sei schwer. Deshalb sei auch die psychologische Beratung wichtig. „Es ist toll, wie sich einige Kinder und Jugendliche in der Zwischenzeit entwickeln und deutlich selbstbewusster werden.“
Klar ist aber auch: Wunder gibt es nicht, Abnehmen ist mehr Marathon als Sprint. Schließlich kommt es darauf an, langfristig Lebensgewohnheiten zu verändern. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, werden deshalb auch die Eltern geschult. „Ihre Rolle ist nicht zu unterschätzen“, sagt Junge. „Die eigentliche Arbeit läuft ja zu Hause. Da geht es täglich um gesunde Ernährung, um Bewegung, auch darum, Grenzen zu setzen. Und bei allem ist es wichtig, das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen zu stärken.“
Da hat sich bei Anastasia schon viel getan. Nach einigen Monaten mit den „starken Kindern“ lautet ihr Leitspruch: „Glaub an dich selbst und verfolge deine Träume.“