sozial-Recht

Bundessozialgericht

Belastungsstörung im Rettungsdienst kann Berufskrankheit sein




Sanitäter mit Einsatzwagen
epd-bild/Steffen Schellhorn
Bei Unfällen sind Rettungssanitäter als Ersthelfer schnell vor Ort und erleben dabei selbst traumatische Ereignisse. Erstmals hat das Bundessozialgericht nun geurteilt, dass eine dabei erlittene psychische Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

Kassel (epd). Rettungssanitäterinnen und -sanitäter können durch traumatische Erlebnisse bei Rettungseinsätzen selbst krank werden. Erkranken sie an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), kann diese daher von der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheit anerkannt werden, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 22. Juni in Kassel. Die Richter haben damit erstmals eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt, den konkreten Streitfall zur erneuten Überprüfung jedoch an das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart zurückverwiesen.

Zusammenbruch nach Einsätzen

Welche Berufskrankheiten es für welche Berufsgruppen gibt, ist in einer Liste der Berufskrankheitenverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales festgelegt. Psychische Erkrankungen sind darin bislang noch nicht erfasst. Allerdings kann eine noch nicht erfasste Erkrankung eine sogenannte Wie-Berufskrankheit sein, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit erfüllt sind. Der Unfallversicherungsträger muss dann die Erkrankung „wie“ eine Berufskrankheit anerkennen.

Der Kläger, ein ehemaliger Rettungssanitäter des Deutschen Roten Kreuzes im Landkreis Esslingen, war 2016 wegen zahlreicher extremer Erlebnisse bei Rettungseinsätzen zusammengebrochen. In einer Reha-Klinik wurde bei ihm eine PTBS diagnostiziert. Diese wollte er von der Unfallversicherung Bund und Bahn als Berufskrankheit anerkennen lassen.

Er verwies auf belastende Rettungseinsätze wie den Amoklauf 2009 in Winnenden und Wendlingen mit 16 Toten und den Suizid zweier Mädchen. Das erste Mädchen nahm sich 2014 durch Selbstenthauptung das Leben, das zweite folgte ihr am „Jahrestag“ 2015 auf ähnlich grausame Weise in den Tod. Der Kläger war jedes Mal als Erster vor Ort.

Die Vielzahl der traumatischen Erlebnisse habe dazu geführt, dass er unter Alpträumen und zitternden Händen leide. Die erlebten Bilder, Eindrücke und Gefühle würden immer wieder unkontrolliert in sein Bewusstsein drängen. Der Rettungssanitäter kann seinen Beruf nicht mehr ausüben und bezieht inzwischen eine volle Erwerbsminderungsrente.

Deutlich erhöhtes Risiko

Die Unfallversicherung Bund und Bahn stellte fest, dass die PTBS in der einschlägigen Verordnung nicht als Berufskrankheit aufgeführt sei. Es liege auch keine Wie-Berufskrankheit vor. Es gebe keine gesicherten Erkenntnisse, dass die wiederholte Konfrontation mit solchen Ereignissen bei Rettungssanitätern geeignet sei, eine PTBS auszulösen.

Das BSG hatte bereits im Jahr 2021 über die Klage des Rettungssanitäters verhandelt und selbst ein Gutachten zur Klärung einer Wie-Berufskrankheit veranlasst. Grund: Der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte erklärt, dass er auch in Zukunft nicht prüfen wolle, ob eine PTBS eine Berufskrankheit sein könne. In dem vom BSG veranlassten Gutachten wurde festgestellt, dass das Risiko, an einer PTBS zu erkranken, bei Rettungssanitätern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung fast siebenfach erhöht ist.

Nachdem der Fall erneut vor dem BSG verhandelt wurde, zweifelte die Unfallversicherung nun die Studie an. Diese habe internationale Untersuchungen mit berücksichtigt, deren Ergebnisse nicht auf Rettungssanitäter in Deutschland übertragbar seien.

Das BSG urteilte, dass es auf die Studie gar nicht mehr ankomme. Es verwies auf eine frühere Entscheidung vom 28. Juni 2022, in der es um die Frage ging, ob eine PTBS bei einem Schlosser als Arbeitsunfall anzuerkennen sei. Hier hatten die obersten Sozialrichter die internationalen medizinischen Diagnosesysteme und die medizinisch-wissenschaftlichen Leitlinien der Fachgesellschaften zurate gezogen. Danach sei geklärt, dass erlittene Traumata ursächlich für eine PTBS seien.

Urteil mit Folgen auch für Notärzte

Diese Grundsätze seien auf Streitigkeiten über das Vorliegen einer Berufskrankheit übertragbar. Auch hier sei davon auszugehen, dass die Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ursächlich für eine PTBS sei. Für Rettungsassistenten bestehe daher ein „abstrakt-generell“ erhöhtes Risiko, an einer PTBS zu erkranken.

Das Urteil kann damit auch als Argumentationshilfe für andere Berufsgruppen dienen, bei denen ebenfalls eine PTBS infolge traumatischer Erlebnisse auftreten kann. Dazu gehören beispielsweise Feuerwehrleute, Polizisten oder auch Notärzte.

Das konkrete Verfahren hat das BSG dennoch an das LSG Stuttgart zurückverwiesen. Zwar war in dem Verfahren nie bestritten worden, dass der Rettungssanitäter an einer PTBS leidet. Das LSG hatte dies aber nicht bindend festgestellt. Ebenso fehlten Feststellungen dazu, ob es gegebenenfalls auch „konkurrierende“ private Ereignisse gab, die die PTBS ebenfalls hätten auslösen können. Denn für private traumatische Erlebnisse hat die Unfallversicherung nicht einzustehen.

Az.: B 2 U 11/20 R (BSG, Berufskrankheit)

Az.: B 2 U 9/20 R (BSG, Arbeitsunfall)

Frank Leth