Wasserburg (epd). Der Einsatz von Methoden der Virtuellen Realität (VR) kann hilfreich sein, um Angsterkrankungen zu therapieren. „Angsterkrankung“ bedeutet, dass übertriebene, unrealistische Ängste das Leben massiv negativ beeinflussen. „In der VR-Simulation wird ein neuer Umgang mit der Angst geübt“, sagt die Psychologin Julia Diemer vom Wasserburger kbo-Inn-Salzach-Klinikum im epd-Interview. Mit ihr sprach Pat Christ.
epd sozial: Frau Diemer, welche Vorteile bringen Übungen in der Virtuellen Realität (VR) bei der Therapie von Angsterkrankungen im Vergleich zu herkömmlichen Therapiemethoden?
Julia Diemer: VR sollte nicht als Alternative, sondern als Ergänzung einer kognitiven Verhaltenstherapie gesehen werden. VR allein ist keine Therapieform. Es handelt sich um eine Computersimulation, die in einer kognitiven Verhaltenstherapie genutzt werden kann. Man kann mit Virtueller Realität Situationen simulieren, vor denen die Patientinnen und Patienten Angst haben. Traditionell wird bei einer kognitiven Verhaltenstherapie in der Realität geübt. Diese Expositionsübungen, wie wir das nennen, sind für den Erfolg bei Angststörungen elementar. Nun sind jedoch viele Situationen aufwendig oder nur schwer herstellbar. Zum Beispiel ein Vortrag vor Publikum oder Flugreisen. Viele Patientinnen und Patienten haben zudem eine große Scheu, in diese Situationen zu gehen. Virtuelle Realität macht Situationen leichter verfügbar und kann Hemmschwellen senken. Dadurch sind mehr Übungen möglich.
epd: Wie lässt sich erklären, dass Virtuelle Realität gerade bei Angsterkrankungen so gut einsetzbar ist? Schließlich weiß der Patient ja, dass das, was ihm gerade virtuell Angst einflößt, gar nicht existiert.
Diemer: Eigentlich ist das gar nicht so überraschend. Wenn Menschen vor etwas Angst haben, scheuen sie oft auch vor Abbildungen oder Videos der Situation zurück. Man denke an die Angst vor Spinnen oder vor Höhe. In diesen Fällen weiß man ja auch, dass es nur ein Bild oder Video ist. Unsere Angst spricht auch auf Dinge an, die dem Original hinreichend ähnlich sind. Virtuelle Realität ist gegenüber Bildern oder Videos noch deutlich immersiver, wie das im Fachjargon heißt. Man taucht, meist mit einem Head-Mounted-Display und Kopfhörern, regelrecht in die Simulation ein und bekommt nur noch wenig von der realen Umwelt mit. Angst lässt sich ziemlich leicht auslösen, wenn die Simulation die wichtigsten Elemente der gefürchteten Situation enthält.
epd: Eignet sich VR für jeden Patienten mit einer Angsterkrankung? Oder gibt es individuelle Parameter, die eher für oder eher gegen den Einsatz Virtueller Realität sprechen?
Diemer: Virtuelle Realität ist für sehr viele, aber nicht für alle Menschen geeignet. Bei manchen Nutzerinnen und Nutzern treten Nebenwirkungen auf, und zwar ähnlich wie bei einer Reisekrankheit. Es kommt zu Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen. Man vermutet, dass dies mit einer Irritation des Gleichgewichtssinns durch die Simulation zusammenhängt. Zwar steht oder sitzt man, bewegt sich dabei aber durch die Simulation. Diese „Cybersickness“ tritt bei einer Minderheit auf, ist meist nur schwach ausgeprägt und klingt nach der Simulation schnell wieder ab. Bei wenigen Patientinnen und Patienten ist die Cybersickness so stark, dass man Virtuelle Realität nicht einsetzen kann. Dann gibt es Patientinnen und Patienten, die trotz Immersion einen inneren Abstand zur Simulation halten. Deren Angst spricht darauf also nicht so stark an. Nach meiner Erfahrung kommt allerdings die Mehrheit mit der Technik gut klar und reagiert ausreichend stark emotional.