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Schuldnerberatung in Zeiten der Krise




Münzen im Portemonnaie
epd-bild/Norbert Neetz
Vor allem für Strom, Gas und Lebensmittel müssen Verbraucher deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das belastet insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen. Eine neue Umfrage belegt, wie tief die Geldnot oft reicht.

Halberstadt (epd). Wenn am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist: Was dieses geflügelte Wort bedeutet, bekommen Katja Grubert und Ina Tauchel seit über einem Jahr hautnah mit. Die beiden Frauen arbeiten in der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas in Halberstadt (Sachsen-Anhalt). „Seit dem Ukraine-Krieg haben wir mehr Beratungsgespräche als zuvor“, sagt Grubert.

„Es gab immer schon eine hohe Nachfrage“

Vor dem Hintergrund steigender Lebensmittel- und Energiepreise und einer Rekord-Inflation kommen seit Mitte vergangenen Jahres immer mehr Menschen in die Erstberatung. Sie erhalten dort Unterstützung, um ihre privaten Finanzen in den Griff zu bekommen. „Beispielsweise empfehlen wir, alle Ausgaben in ein Haushaltsbuch einzutragen“, sagt Grubert: „Oder wir helfen ihnen, ihre Kreditkarte zu kündigen, damit sich nicht noch mehr Schulden anhäufen.“

Ihre Kollegin Ina Tauchel sagt: „Es kommen jetzt Menschen zu uns, die vorher nicht gekommen wären, wo das Geld bisher gereicht hat.“ Dass die Verschuldung privater Haushalte durch die Preissteigerungen drastisch zugenommen hätte, können die beiden Beraterinnen dennoch nicht beobachten. „Es gab immer schon eine hohe Nachfrage“, sagt Tauchel. Und die Termine seien knapp, denn bei einer Schuldnerberatung sei viel Nacharbeit nötig. Sie nimmt etwa Kontakt mit den Gläubigern auf und versucht, eine Ratenzahlung oder eine Kürzung der Raten zu erreichen.

Warnrufe kommen aus ganz Deutschland

Zudem seien soziale Härten durch staatliche Leistungen wie die Erhöhung des Mindestlohns und des Kindergeldes abgefedert worden. „Viele Menschen erhalten ihre Energieabrechnungen erst in diesem Jahr“, erklärt Tauchel. „Das wird sich vielleicht noch in der Zahl der Beratungen niederschlagen.“ Knapp 1.700 Beratungen waren es im vergangenen Jahr - mehr als in den Vorjahren. Allerdings hätten sich in der Corona-Zeit auch neue Beratungsformen wie Onlineberatung etabliert. Diese machten inzwischen rund 40 Prozent der Kontakte aus.

Warnrufe kommen derzeit aus allen Teilen Deutschlands. Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, verwies auf eine neue Umfrage. Demnach berichteten zwei Drittel der befragten gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen von einer deutlich höheren Nachfrage als vor sechs Monaten. Bei einem Fünftel von ihnen stieg den Angaben zufolge die Nachfrage sogar um mehr als 30 Prozent.

Welskop-Deffa bestätigte die Daten: „Immer mehr Menschen suchen unsere Beratung auf, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht und weil sie angesichts wachsender Schulden weder ein noch aus wissen.“ In der Hälfte der Schuldnerberatungsstellen seien im Frühjahr mehr Ratsuchende wegen Energieschulden als Ende 2022 - und das, nachdem sich schon im Vorjahr die Energiepreisentwicklung als besonderes Sorgenkind erwiesen hatte, so die Verbandschefin.

Diakonie beklagt Arbeitstempo der Behörden

Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, betonte, dass Menschen, bei denen das Geld nicht zum leben reiche, einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen hätten. „Aus unseren Beratungsstellen wissen wir, dass viele Behörden für die Ratsuchenden schwer erreichbar sind. Bis zur Entscheidung über Anträge dauert es zudem oft sehr lang. Besonders auffällig ist das beim Wohngeld. Leidtragende der Sorgen und Zukunftsängste ihrer Eltern sind letztlich die Kinder und Jugendliche“, so die Vorständin weiter.

Energie- und Mietschulden sind nach ihren Worten die Hauptthemen der Ratsuchenden in den Beratungsstellen. „Besonders armutsgefährdete Familien können Energieschulden oftmals kaum vermeiden. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Energiesperren sind für die Betroffenen verheerend. Wir fordern daher ganz klar: Wenn Betroffene sich bereits mit Abschlägen um die Tilgung ihrer Energieschulden bemühen, darf es keine Energiesperre geben“, so die Diakonie Vorständin.

Caritas: Ausbau der Beratung muss kommen

„Gut, dass sich die Menschen Hilfe holen. Und schlecht, dass wir in den Schuldnerberatungsstellen spezielle Lotsenangebote hin zur Energieberatung kaum anbieten können“, so Welskop-Deffaa. Ein entsprechender Förderantrag werde in der Bundesregierung seit Monaten von einem Ressort zum anderen geschoben, obwohl die Gas-Wärme-Kommission ausdrücklich für den Ausbau der Beratung votiert hatte.

„Unsere Beratungsstellen sind überlastet und müssen Ratsuchenden zum Teil lange Wartezeiten zumuten. Es ist längst Zeit, dass sich hier etwas ändert und dass die Schuldnerberatung und die Energieberatung finanziell so ausgestattet werden, dass sie den akuten Bedarf decken können.“

Kein deutlicher Anstieg von Insolvenzen

Auch Elke Neuendorf von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt sieht keinen deutlichen Anstieg von Verbraucherinsolvenzen. Dennoch suchten auch dort mehr Menschen Rat und Hilfe, sagt sie. In diesem Jahr habe es zwischen Januar und Mai rund 350 Fälle in der Beratungsstelle gegeben. Im Vorjahreszeitraum seien es nur 145 gewesen.

Die Zahl der Fälle, die tatsächlich zum Gericht gingen, sei aber im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar leicht gesunken, sagt Neuendorf. Zwischen Januar und Mai seien es 49 Anträge auf Privatinsolvenz gewesen, im Vorjahreszeitraum 65. Da die Nachfrage nach Beratung weiter steigt, rechnet die Beraterin im Lauf des Jahres allerdings mit mehr Insolvenzanträgen.

„Die Überschuldungslage der deutschen Verbraucher hat sich trotz der Folgewirkungen von Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Energiepreiskrise bislang noch nicht dramatisch verschlechtert“, sagt auch Patrik-Ludwig Hantzsch, Sprecher der Wirtschaftsauskunftei Creditreform in Neuss in Nordrhein-Westfalen. Die Energiepreiskrise habe zwar die Verbraucher in Deutschland erreicht, aber nicht mit voller Wucht. So sei eine Mangellage bei Strom und Gas ausgeblieben, und staatliche Hilfsprogramme hätten trotz zeitlicher Verzögerung ihre Wirkung entfalten können.

Laut einer Umfrage der Firma Creditreform Boniversum, die Konsumentendaten erhebt, leiden rund 20 Prozent der Verbraucher unter häufigem finanziellem Stress. Das sei seit Beginn der Umfragen im Jahr 2010 der höchste Wert. „Der andauernde finanzielle Stress setzt den Verbrauchern zu“, sagt Hantzsch: „Betroffen sind vor allem diejenigen, die auch in normalen Zeiten wenig bis gar nichts sparen können.“

Oliver Gierens, Dirk Baas