Berlin (epd). Die Frauen in Deutschland sehen Kinder offenbar zunehmend als Hürde auf dem Weg zur Gleichstellung. Insbesondere Frauen zwischen 23 und 50 rieten nach den schlechten Erfahrungen in der Corona-Pandemie dazu, den Kinderwunsch niedrig zu halten, heißt es in einer am 23. Mai in Berlin veröffentlichten gemeinsamen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), der „Zeit“ und dem infas Institut für angewandte Sozialforschung. In der sogenannten Vermächtnis-Studie wurden die „heimlichen Hürden“ auf dem Weg zur Gleichstellung in der Arbeitswelt untersucht.
Demnach werden Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Putzen, Waschen und Einkaufen weiterhin überwiegend von Frauen übernommen. Auch für die Planung und Organisation von alltäglichen Dingen („Mental Load“) wie etwa Freizeitaktivitäten seien zumeist die Frauen zuständig. Von insgesamt 21 Aufgaben, die Haushalt und Familie betreffen, lägen in der Regel nur drei in der Verantwortung von Männern. Das seien Reparaturen, Handwerker und Finanzen.
Für die vierte Auflage der Vermächtnis-Studie wurden im Januar und Februar 2023 insgesamt 4.211 Personen im Alter von 23 bis 65 Jahren befragt. Die als Langzeitprojekt angelegte Studie versteht sich als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen. Erstmals durchgeführt wurde sie 2015/2016.
„Wir sehen zum ersten Mal, dass die Bedeutung von Kindern bei den Befragten sinkt“, sagte WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger. Nach den Erfahrungen in der Pandemie mit einer extremen „Mental Load“ gelte Frauen die Erwerbsarbeit „als sicherer Deal, um einigermaßen gleichberechtigt leben zu können“, sagte sie.
Anders als noch vor einigen Jahren würden die Frauen im Arbeitsbereich sehen, „dass sich dort etwas tut“. Es gebe Gleichstellungsbeauftragte in den Unternehmen und die Möglichkeit, gegen eine ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen erfolgreich zu klagen. Allmendinger sieht bei Frauen einen deutlichen „Zug in das Erwerbsleben und einen Rückzug aus dem Familienleben“ bei zunehmender Skepsis, ob sich beides miteinander verbinden lässt.
Etwas anders fällt das Ergebnis bei den Befragten ab 51 Jahren aus. Diese betonten die Bedeutung von Kindern, auch für künftige Generationen. Ein Grund könnte sein, dass in dieser Altersgruppe eigene Kinder oft schon aus dem Haus sind, sodass berufstätige Mütter keine Doppelbelastung mehr tragen müssen. Sie könnten quasi ein Leben wie die Väter führen und sich hauptsächlich dem Beruf widmen.
Die Studie zeigt zudem unbeabsichtigte Folgen von geschlechtsspezifischen Förderprogrammen. So werde der Erfolg von Frauen in Unternehmen, die Wert auf Frauenförderung legen, häufig weniger auf Intelligenz und Fleiß zurückgeführt, als in Unternehmen, in denen ausschließlich Leistung und einheitliche Bewertungsstandards gelten.
Deshalb sei „Transparenz“ bei Beförderungen wichtig, sagte Julia Sperling-Magro von der Initiative Chef:innensache, einem Netzwerk zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Zugleich führe der Fachkräftemangel zu einem Umdenken in der Wirtschaft hin zu mehr Diversität: „Unternehmen ohne Gleichstellung sind für junge Menschen nicht mehr attraktiv.“