Erfurt (epd). Ein Arbeitnehmer kann bei mehreren aufeinanderfolgenden Erkrankungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber zur Offenlegung seiner Krankheiten verpflichtet sein. Zweifelt der Arbeitgeber an, dass die jeweiligen Gründe für die Arbeitsunfähigkeit nicht auf unterschiedliche Erkrankungen zurückgehen, so dass damit kein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht, muss der Beschäftigte den Sachverhalt weiter mit Tatsachen aufklären, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 2. Mai veröffentlichten Urteil. Das Grundrecht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung über seine Daten müsse dann zurücktreten, erklärten die Erfurter Richter.
Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz ist der Arbeitgeber für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Danach springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein, das allerdings geringer ist als der Lohn. Erkrankt ein Arbeitnehmer nach einer ersten Arbeitsunfähigkeit an einer neuen Krankheit, besteht wiederum ein bis zu sechs Wochen dauernder Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber.
Im Streitfall hatte der Kläger in der Gepäckabfertigung des Frankfurter Flughafens gearbeitet. Zwischen dem 24. August 2019 und dem 13. August 2020 war er an insgesamt 110 Tagen krank. Zwischen dem 18. August und 23. September 2020 fiel er wiederum mehrfach für ein bis drei Tage wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) aus.
Der Arbeitgeber gewährte nur bis zum 13. August 2020 die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Er hatte Zweifel, dass der Beschäftigte danach an einer neuen Erkrankung erkrankt war. Offensichtlich liege eine Fortsetzungserkrankung vor, so dass der sechswöchige Lohnfortzahlungszeitraum überschritten worden sei.
Der Arbeitnehmer legte als Nachweis, dass bei ihm verschiedene neue Erkrankungen vorlagen, AU-Bescheinigungen vor, in denen Diagnose-Codes (ICD 10) zu Diagnosen und Symptomen enthalten waren. Zu vorhergehenden Atemwegsinfekten müsse er sich nicht äußern, meinte er. Vom Arbeitgeber forderte er weitere 894 Euro an Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Doch der Hinweis auf die Diagnose-Codes in den AU-Bescheinigungen reichten als Beleg für eine neue Erkrankung ebenso wenig wie eine entsprechende Bestätigung der Krankenkasse, urteilte das BAG. Äußere der Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht konkrete Zweifel, dass keine neuen Erkrankungen vorliegen, müsse der Arbeitnehmer das Gegenteil mit Tatsachen belegen. Letztlich müsse er sämtliche Erkrankungen offenlegen. Auch die behandelnden Ärzte könnten hierfür von der Schweigepflicht entbunden werden.
Nur so könne die Rechtmäßigkeit des Lohnfortzahlungsanspruchs geprüft werden. Der mit der Offenlegung der Erkrankungen verbundene Eingriff in das Grundrecht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung und das darin enthaltene Recht, selbst über seine Daten entscheiden zu können, sei „verhältnismäßig und damit gerechtfertigt“. Eine Mitteilung der Krankenkasse sei nicht geeignet, die Zweifel des Arbeitgebers aus dem Weg zu räumen und für die Arbeitsgerichte auch nicht bindend. Krankenkassen seien parteiisch, denn sie hätten ein finanzielles Interesse daran, dass der Arbeitgeber während einer Erkrankung den Lohn fortzahlt und nicht die Krankenkasse mit Krankengeld einspringen muss.
Auch den Vorschlag, dass Arbeitnehmer ihre Erkrankungen nur einem Sachverständigen offenlegen müssen, lehnten die Erfurter Richter ab. Solche „geheime Verfahren“ seien mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Denn der Arbeitgeber müsse ein Sachverständigengutachten überprüfen und gegebenenfalls einen anderen Gutachter beauftragen können.
Die auf sechs Wochen beschränkte Entgeltfortzahlungspflicht bei Arbeitsunfähigkeit habe zudem das Ziel, die wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers in zumutbare Grenzen zu halten. Könne der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers über das Vorliegen einer erneuten Erkrankung nicht überprüfen, würde „die gesetzlich vorgesehene Zumutbarkeitsregelung regelmäßig ins Leere laufen“, urteilte das BAG.
Da der Kläger nichts weiter zu neuen Erkrankungen vorgetragen hat, sei von einer Fortsetzungserkrankung auszugehen. Ein Anspruch auf die erneute sechswöchige Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber bestehe daher nicht.
Az.: 5 AZR 93/22