Mainz (epd). Mit dem Kauf einer Handprothese, eines behindertengerechten Pkws sowie der Tilgung von aufgenommenen Schulden „verschleudern“ schwerbehinderte Langzeitarbeitslose nicht ein erhaltenes vorgezogenes Erbe. Das Jobcenter darf daher nicht von einem „sozialwidrigen Verhalten“ ausgehen und Hilfeleistungen zurückfordern, entschied das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem kürzlich veröffentlichten Urteil.
Geklagt hatte ein schwerbehinderter Arbeitslosengeld-II-Empfänger, der infolge eines Unfalls seine rechte Hand verloren hatte. Nach seinem Grafik-Design-Studium wurde er selbstständig und musste als Freiberufler Darlehen in Höhe von rund 24.000 Euro aufnehmen.
Von Juni 2012 bis 21. Dezember 2015 war er beim Jobcenter als Arbeitsvermittler befristet angestellt. Danach wurde er arbeitslos und erhielt schließlich selbst Hartz-IV-Leistungen.
Zwischenzeitlich hatte ihm seine Mutter 52.000 Euro als vorgezogenes Erbe geschenkt. Das Geld verwendete der Arbeitslose zur Begleichung seiner berufsbedingt aufgenommenen Schulden. Er kaufte sich einen behindertengerecht ausgestatteten Pkw für 16.000 Euro, unterstützte seinen körperbehinderten Sohn mit einem Vibrationsgerät und kaufte sich ein Tablet und eine neue Silikon-Handprothese.
Als das Jobcenter von der Schenkung der Mutter erfuhr, ging die Behörde von einem „sozialwidrigen Verhalten“ aus. Der Arbeitslose habe das Geld „verschleudert“. Er müsse daher bereits erhaltene Hilfeleistungen von knapp 11.000 Euro zurückzahlen.
Der Mann legte Klage ein und bekam nun vom LSG recht. Die Mainzer Richter betonten, dass das Jobcenter zwar Leistungen wieder zurückfordern kann, wenn der Arbeitslose „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ und ohne wichtigen Grund seine Hilfebedürftigkeit verursacht und sich damit „sozialwidrig verhalten“ hat.
Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, auch wenn der Kläger die Schenkung innerhalb von neuneinhalb Monaten ausgegeben hat. Es sei aber ein Unterschied, ob ein Arbeitsloser vertragsgemäß notwendige Kredite abbezahlt oder Anschaffungen tätigt, die zu einem durchschnittlichen, über dem Existenzminimum liegenden Lebensstandard gehören, oder ob er luxuriöse Gegenstände und Reisen sich leistet. Der Kauf einer Handprothese und die Unterstützung der Kinder stellten ebenfalls keine „missbilligenden Verhaltensweisen“ dar, entschied das LSG.
Az.: L 3 AS 208/21