sozial-Recht

Bundessozialgericht

Schiedsstelle muss realistische Gewinnchance für Pflegeheime klären




Pflegekraft mit einer Heimbewohnerin
epd-bild/Werner Krüper
Bei der Festlegung von Pflegesätzen ist das unternehmerische Risiko eines Heims angemessen zu berücksichtigen. Wird im Streit eine Schiedsstelle angerufen, muss diese aber auch die Sätze anderer Einrichtungen in einem Vergleich einbeziehen.

Kassel (epd). Pflegeeinrichtungen haben bei der Festsetzung der Pflegesätze und Entgelte Anspruch auf eine „angemessene und realistische Gewinnchance“. Legt eine Schiedsstelle „nach pflichtgemäßem Ermessen“ die Pflegesätze und Entgelte einer Einrichtung fest, kann sie hierfür das unternehmerische Risiko „über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz“ oder anhand der Auslastungsquote bestimmen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 19. April. Erforderlich sei aber auch, dass vor dem Schiedsspruch ein Vergleich mit den Sätzen anderer Pflegeeinrichtungen gemacht wird.

Zuschlag von zunächst 4,96 Prozent

In den drei entschiedenen Fällen konnten sich die stationären Pflegeeinrichtungen aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen nicht mit den Sozialhilfeträgern auf die Höhe der Pflegesätze einigen. So sollte teils das in den Pflegesätzen zu berücksichtigende unternehmerische Risiko nur in geringem Maße berücksichtigt werden.

Daraufhin wurde die Schiedsstelle angerufen. Diese zog für die Bemessung des Unternehmerrisikos die sogenannte IEGUS-Studie heran. Die vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) in Auftrag gegebene Studie analysiert und bewertet das unternehmerische Risiko von stationären Pflegeeinrichtungen. Laut Schiedsspruch sollte es für das unternehmerische Risiko danach einen Zuschlag auf die Pflegesätze von zunächst 4,96 Prozent geben. Bei einer höheren Auslastung des Pflegeheimes sollte sich dieser Wert verringern.

Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig kippte die Entscheidung. Eine Schiedsstelle dürfe nicht pauschal einen Zuschlag für das Unternehmerrisiko festlegen und dabei die zu erwartenden Gestehungskosten, also Selbstkosten etwa für Personal oder Investitionen, außer Acht lassen. Auch müsse ein Vergleich der Pflegesatzhöhe bei anderen Einrichtungen vorgenommen werden.

Kostenkalkulation eines Trägers gerügt

Das BSG urteilte, dass die Schiedsstelle „nach pflichtgemäßem Ermessen“ über die angemessene Gewinnchance einer Pflegeeinrichtung als Teil ihrer Pflegevergütung entscheiden darf. Das unternehmerische Risiko könne „entweder über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz“ bestimmt werden oder „über die Auslastungsquote gesteuert werden, sofern diese im Vergleich mit anderen Einrichtungen ... so realistisch angesetzt ist, dass sie bei ordnungsgemäßer Betriebsführung zu einem angemessenen Unternehmensgewinn führen kann“.

Dennoch habe das LSG den Schiedsspruch im Ergebnis zu Recht aufgehoben, da die Schiedsstelle die festgesetzten Pflegesätze nicht mit den Sätzen anderer Einrichtungen verglichen habe.

Im dritten Verfahren hatten unter anderem der Landkreis Vechta die Kostenkalkulation eines Trägers eines stationären Alten- und Pflegezentrums gerügt. Die angesetzten Kosten für das Personal seien nicht ausreichend begründet worden. Die kalkulierten Verwaltungs- und Sachkostensteigungen seien ebenfalls nicht nachvollziehbar und erst einen Monat vor den Pflegesatzverhandlungen vorgebracht worden. Dem folgte die angerufene Schiedsstelle, die die Pflegesätze und Entgelte entsprechend geringer ansetzte.

Das LSG Celle bestätigte zwar, dass die Schiedsstelle nachvollziehbare Belege für die von der Pflegeeinrichtung geltend gemachten Gestehungskosten verlangen kann. Dennoch müsse sie neu entscheiden. Sie hätte der Pflegeeinrichtung unter Fristsetzung genau die Unterlagen benennen müssen, die sie noch für die Prüfung der Kostenstruktur benötigt.

Zweifel an der Kostenstruktur

Die Pflegeeinrichtung war mit dem Urteil trotzdem nicht zufrieden und meinte, dass der Gesetzgeber der Schiedsstelle keine „vertiefende Prüfung der Kostenstruktur“ auferlegt hat. Der Streitgegenstand sei hier nur auf die strittigen Leasingkosten für Pflegekräfte und die Bemessung eines Risikozuschlags beschränkt.

Das BSG wies die Revision des Pflegeheimträgers zurück und urteilte, dass eine Schiedsstelle sich von allen Umständen selbst überzeugen muss, „die für die Leistungsgerechtigkeit und Angemessenheit der von ihr festgesetzten Pflegesätze und Entgelte bedeutsam sind“. Es sei nicht zu beanstanden, wenn eine Schiedsstelle bei Zweifeln an den zu erwartenden Kosten einer Einrichtung weitergehende Nachweise verlangen kann.

Die Einrichtung müsse dann die voraussichtlichen Gestehungskosten plausibel und nachvollziehbar darlegen, so dass ihre Kostenstruktur erkennbar sei. Die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit müsse im Einzelfall beurteilt werden können. Die Vorlage einer reinen Kostenkalkulation reiche in der Regel nicht aus. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Schiedsstelle Belege für zu erwartende Lohnsteigerungen und den Kostenansatz für Leiharbeitskräfte eingefordert habe.

Az.: B 3 P 6/22 R und B 3 P 7/22 R (Unternehmerrisiko)

Az.: B 3 P 2/22 R (Kostenkalkulation)

Frank Leth