Berlin (epd). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nach 35 Beitragsjahren frühzeitig in den Ruhestand gehen und Rente beziehen, dürfen seit Januar unbegrenzt dazuverdienen. Die Einkommensskala ist nach oben offen und nicht mehr, wie das noch vor der Corona-Krise der Fall war, extrem limitiert. Vorher durften Frührentnerinnen und Frührentner einen zusätzlichen Lohn nur bis zur Minijobgrenze - das waren damals 450 Euro im Monat - ohne Abstriche behalten. Diese Verdienstgrenze gibt es nun nicht mehr.
Die Ampel begründet die Novelle so: „Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten setzt zusätzliche Arbeitsanreize und leistet einen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung.“ Sie hofft, dass Beschäftigte, die mit 63 ihre Rente beantragen, weiterarbeiten. Denn das neue Gesetz ermöglicht ihnen, mit ihrer Rente und einem Halbtagsjob ihren Lebensstandard zu halten. Arbeitswillige Ruheständler könnten dem drohenden Fachkräftemangel in deutschen Betrieben seinen Schrecken nehmen. Wenn Rentner und Rentnerinnen weiterarbeiten, wäre das gut für das Bruttosozialprodukt.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) wollte auf Anfrage keine Prognose abgeben, wie viele Menschen in diesem Jahr voraussichtlich in die vorgezogene Rente gehen werden. Einen Anhaltspunkt können jedoch die Zahlen der DRV aus der jüngsten Vergangenheit geben. Danach gingen seit 2017 im Durchschnitt jährlich 809.000 Menschen in Rente, davon rund 463.000 Menschen vor Erreichen der gesetzlichen Altersrente. Von ihnen nahmen im Schnitt 190.000 Personen Abschläge in Kauf; ein Jahr früher in den Ruhestand bedeutet Rentenkürzungen von immerhin 3,6 Prozent. Wie sehr das neue Gesetz die Frühverrentung beschleunigen wird, ist offen.
Wer als Frührentnerin oder Frührentner mit 63, 64 oder 65 Jahren weiter einer Erwerbstätigkeit nachgehen und mehr verdienen will als 520 Euro in einem Minijob, hat einige Regeln zu beachten: Die Beschäftigung unterliegt laut DRV den „normalen“ Regeln der Sozialversicherung. Das heißt, der oder die Beschäftigte entrichtet vor Erreichen des regulären Rentenalters - in diesem Kalenderjahr liegt das bei 65 Jahren und zehn Monaten - von seinem Hinzuverdienst Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Dabei gilt: Die eingezahlten Beiträge zur Rentenversicherung werden ab dem regulären Rentenalter zur eigenen Rente hinzugerechnet. Sie mindern also die aus der Frührente entstehenden Abschläge.
Sind Rentenbezieher in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, müssen sowohl für die Altersrente als auch für die Beschäftigung Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gezahlt werden. Wird dadurch die Beitragsbemessungsgrenze bei der Krankenkasse überschritten, kann bei ihr die Erstattung der zu viel gezahlten Beiträge beantragt werden.
Einen Nachteil erfahren die fleißigen Frührentnerinnen und Frührentner: Wird eine volle Altersrente bezogen, haben sie keinen Anspruch auf Krankengeld durch die gesetzliche Krankenkasse. Deshalb zahlen sie an die Krankenkasse nur einen ermäßigten Beitragssatz von 14 Prozent statt des allgemeinen Beitragssatzes von 14,6 Prozent.
Ein weiterer Nachteil kommt nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) hinzu: Wer vorzeitig Rente bezieht, volle Rentenansprüche geltend macht und weiter arbeiten geht, hat kein Recht auf Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld. Im Falle von Arbeitslosigkeit oder längerer Krankheit bleibt also nur die Rente als Einkommen.
Der Hinzuverdienst zur vorgezogenen Rente darf sowohl aus einer selbstständigen Tätigkeit resultieren als auch aus einem Anstellungsverhältnis. Es ist nach Auskunft der Rentenversicherung einem Frührentner oder einer Frührentnerin nach dem Gesetz auch gestattet, beim bisherigen Arbeitgeber hinzuzuverdienen. „Das Beschäftigungsverhältnis darf nahtlos weitergeführt werden“, teilte die DRV mit.
Laut Sozialverband VdK gilt bei der vorgezogenen Altersrente: „Das Arbeitsverhältnis läuft weiter, bis die Regelaltersgrenze erreicht wird und das Arbeitsverhältnis endet. Es bedarf keiner Zustimmung des Arbeitgebers beziehungsweise einer Kündigung.“
Allerdings „gibt es Tarif- und Arbeitsverträge, in denen geregelt ist, dass das Beschäftigungsverhältnis bei Bezug einer Altersrente endet“, fügt der Verband hinzu. In diesem Fall müsse der Arbeitgeber prüfen, ob ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen werden kann.
Für Arbeitnehmer, die ihre Stundenzahl reduzieren wollen, erklärt der VdK, „bedarf es in der Regel einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber“. Dann kann der Arbeitsvertrag entsprechend angepasst werden.
Die Rentenkasse empfiehlt Arbeitnehmern, die im Beschäftigungsverhältnis eine Altersrente beziehen, den Arbeitgeber hierüber zu informieren. Denn: „Sofern eine vorgezogene oder reguläre Altersrente als Vollrente bezogen wird, hat der Arbeitgeber dies bei der Meldung zur Sozialversicherung zu beachten. Beispielsweise zahlen Arbeitnehmer bei Bezug einer vorgezogenen Altersrente als Vollrente einen ermäßigten Beitragssatz zur Krankenversicherung.“
Die Deutsche Rentenversicherung bewertet das neue Gesetz positiv. Denn die neue Regelung ermögliche einen frühen Rentenbeginn, der flexibel mit einer Erwerbstätigkeit verbunden werden könne. Außerdem begrüßt die Rentenversicherung, dass mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen Bürokratie abgebaut werde.
Auch VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht in der neuen gesetzlichen Regelung „einen Beitrag zum flexibleren Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand“. Allerdings gelte dies vor allem für einkommensstärkere Rentner, einkommensschwache Frührentner profitierten von der Regelung kaum. Denn, argumentiert Bentele: „Sie können nach Jahrzehnten psychisch und physisch harter Arbeit nicht im Alter noch etwas dazuverdienen, weil sie geringe Arbeitsmarktchancen haben oder schlicht zu krank sind.“
Deshalb fordert der VdK besondere Regelungen und Angebote für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen Arbeitsmarktchancen in höherem Alter, geringer Qualifizierte, gesundheitlich Eingeschränkte und physisch und psychisch hart arbeitende Menschen. Für diese Personengruppen müssten „flexible Beschäftigungsmöglichkeiten“ geschaffen werden.
Das Urteil des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes fällt gemischt aus: „Die Neuregelung schafft eine begrüßenswerte, zusätzliche Flexibilität beim Renteneintritt, birgt aber auch zusätzliche Risiken.“ Denn wer mit Abschlägen vorzeitig in Rente gehe und dabei mit einem langjährigen Zusatzeinkommen aus der Arbeitstätigkeit rechne, müsse das Risiko von Arbeitslosigkeit und Krankheit einkalkulieren, denn nach dem neuen Gesetz gilt: „Wer voll in Rente ist, hat keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosen- oder Krankengeld.“