sozial-Recht

Bundessozialgericht

Organspendeskandal: Uniklinikum Göttingen steht Vergütung zu




Organtransplantation (Archivbild)
epd-bild/Annette Zoepf
Krankenkassen müssen Organtransplantationen auch bei manipulierten Patientendaten bezahlen. Entscheidend für den Honoraranspruch ist allein, ob der Eingriff erforderlich war und qualitativ einwandfrei erfolgte, urteilte das Bundessozialgericht zum Göttinger Transplantationsskandal.

Kassel (epd). Krankenhäusern steht für eine erforderliche und fehlerfrei vorgenommene Organtrans-plantation auch eine Vergütung zu. Selbst wenn ein Transplantationschirurg zuvor die Patientendaten eines Versicherten rechtswidrig so manipuliert hat, dass er auf der Warteliste für ein Spenderorgan als besonders dringlich eingestuft und bevorzugt operiert wurde, darf die Krankenkasse die Vergütung nicht verweigern, urteilte am 7. März das Bundessozialgericht (BSG) zum sogenannten Göttinger Transplantationsskandal. Denn maßgeblich für den Vergütungsanspruch ist allein, dass die Transplantation medizinisch erforderlich war und die Behandlungsqualität eingehalten wurde; nicht aber, ob das Spenderorgan rechtmäßig verteilt wurde, betonten die Kasseler Richter.

Anlass des Rechtsstreits waren Auffälligkeiten am Göttinger Uniklinikum bei Lebertransplantationen. Nach einem anonymen Hinweis im Juli 2011 stellte das Uniklinikum fest, dass der von Oktober 2008 bis Ende 2011 beschäftigte Leiter der Transplantationschirurgie Blutwerte von Patienten so manipuliert hatte, dass die Versicherten auf der Warteliste der Organverteilungsstelle „Eurotransplant“ als besonders dringlich eingestuft wurden. 25 Patienten hatten so vorrangig vor anderen Kranken eine Spenderleber erhalten.

Acht Länder im Verbund der Organvergabe

Die im niederländischen Leiden ansässige Eurotransplant-Stiftung hat die Aufgabe, die knappen Spenderorgane unter Patientinnen und Patienten möglichst gerecht zu verteilen. Für jeden Patienten, der ein Spenderorgan benötigt, wird auf Grundlage medizinischer Daten ein Score-Wert ermittelt, der die Dringlichkeit einer Organtransplantation anzeigen soll. Je dringlicher eine Transplantation ist, desto eher rutschen die betroffenen Patienten auf der Warteliste für ein Organ nach oben. Insgesamt acht Länder, darunter Deutschland, Belgien, die Niederlande und Ungarn, nehmen an diesem System teil.

Wegen manipulierter Patientendaten bei der Meldung eines Organspendebedarfs hatte die Staatsan-waltschaft Göttingen dem Chirurgen unter anderem in elf Fällen versuchten Totschlag vorgeworfen. Denn indem er „seine“ Patienten auf der Warteliste hochstufen ließ, mussten andere, die das Organ dringlicher brauchten, sterben.

Freispruch für Mediziner

Der Bundesgerichtshof sprach den Arzt allerdings frei, weil er Gesundheitsschäden oder den Tod von Patienten nicht in Kauf genommen habe. Die Manipulation von Patientendaten sei damals auch nicht strafbar gewesen.

Auch wenn strafrechtlich der Transplantationsarzt nicht belangt wurde, sollte im konkreten Streitfall zumindest das Uniklinikum büßen. Die Krankenversicherungen hatten die Lebertransplantationen zwar bezahlt. Allerdings forderte dann die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) für zwei Transplantationen rund 157.000 Euro von der Uniklinik zurück.

Die Lebertransplantationen seien aufgrund bewusster Falschangaben erfolgt. Es lägen damit Verstöße gegen das Transplantationsgesetz vor, das Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit unter allen Patienten verlange, die ein Spenderorgan brauchen. Auch wenn die zwei betroffenen Versicherten tatsächlich eine neue Leber benötigten, seien die Leistungen wegen der suggerierten höheren Dringlichkeit der Transplantationen rechtswidrig zustande gekommen. Damit entfalle der Vergütungsanspruch, so die Krankenkasse.

LSG: Transplantationen medizinisch nötig

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen urteilte am 18. Januar 2022, dass das Klinikum die Vergütung von der KKH verlangen kann. Die Transplantationen seien medizinisch erforderlich gewesen. Unzutreffende Angaben gegenüber „Eurotransplant“ ließen den Vergütungsanspruch nicht entfallen.

Dem folgte nun auch das BSG. Maßgeblich für den Vergütungsanspruch sei, dass die Lebertransplantationen medizinisch erforderlich waren und nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgten. Ein Verstoß gegen das Qualitätsgebot, das sich auf die Vergütung auswirken könne, habe mit den manipulierten Patientendaten hier nicht vorgelegen. So dienten die Eurotransplant-Regelungen der Verteilung von Spenderorganen und nicht der Qualitätssicherung. Zwar habe der behandelnde Transplantationschirurg mit der Manipulation der Patientendaten gegen das Transplantationsgesetz verstoßen. Dem komme jedoch „keine Vergütungsrelevanz zu“, weil die Qualität der Behandlung eingehalten wurde.

Der Gesetzgeber habe 2013 und damit nach den Vorfällen die Manipulation von Patientendaten für Organtransplantionen zwar unter Strafe gestellt, der Vergütungsanspruch für erfolgte Transplantationen sei dabei aber nicht ausgeschlossen worden, stellten die obersten Sozialrichter fest.

Az.: B 1 KR 3/22 R (Bundessozialgericht Transplantationsskandal)

Az.: 5 StR 20/16 (Bundesgerichtshof)

Az.: L 16/4 KR 506/19 (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen)

Frank Leth