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Dorfladen, neu gedacht




In Drangstedt bei Bremerhaven ist aus einem ehemaligen Tanzsaal ein Mini-Supermarkt geworden.
epd-bild/Dieter Sell
Auf dem Land schließen immer mehr konventionelle Supermärkte, die Umsätze sind zu gering. Dem will ein Bremer Unternehmen mit der Idee eines modernen Tante-Emma-Ladens begegnen: rund um die Uhr offen und nach den Bedürfnissen der Kunden gestaltet.

Bremen (epd). Vor einigen Jahren hatte Ortsbürgermeister Rafael Platek hier noch zu seinem 40. Geburtstag eingeladen. Überhaupt war der damals klassisch holzgetäfelte „Saal Wiesengrund“ in Drangstedt bei Bremerhaven über Jahrzehnte so etwas wie der emotionale Dorfmittelpunkt, der Ort, an dem viel gefeiert wurde: Hochzeiten, Jubiläen, Geburtstage, Vereinstreffen. „In den Tanzsaal passten 300 Leute“, erinnert sich Platek. Nun steht der CDU-Kommunalpolitiker wieder im „Wiesengrund“, der jetzt weiß getüncht ist. Überall Regale, hell erleuchtet: Aus dem Festsaal wurde ein dörflicher Tante-Emma-Laden, aber neu gedacht.

„Tante Enso“ steht draußen an der Fassade des Gebäudes. Der Laden bringt etwas in den 1.700-Seelen-Ort, was es hier so noch gar nicht gab: einen genossenschaftlich organisierten Mini-Supermarkt mit mehr als 4.000 Produkten und Selbstbedienungskasse. Es ist ein Nahversorger, der für viele Drangstedter bequem mit dem Rad und sogar zu Fuß erreichbar ist, ergänzt durch einen Bäcker. Dahinter steht das Bremer Unternehmen myEnso, das mit Drangstedt laut Mit-Geschäftsführer Thorsten Bausch bereits den 17. Laden dieser Art in Deutschland eröffnet hat - immer mit dem Ziel, die Versorgung in ländlichen Regionen zu verbessern.

Ländliche Räume meist unterversorgt

Das ist bitter nötig. Nach einer Studie des Braunschweiger Thünen-Institutes für Ländliche Räume ist bundesweit für weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Dörfern die Nahversorgung gesichert. Das Problem: Große Handelsketten interessieren sich meist nicht für kleine Gemeinden wie Drangstedt, sie konzentrieren sich auf Orte ab 5.000 Einwohnern. Dazu kommt die Konkurrenz von Discountern, die noch relativ gut mit dem Auto erreichbar sind und so den Dorfläden das Leben schwer machen.

„Tante Enso“ steht für automatisierte Märkte, die bei geringen Betriebskosten den Einkauf das ganze Jahr über an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr erlauben. Die Kunden registrieren sich zuvor für die „Tante Enso-Karte“ und erteilen eine Einzugsermächtigung. Die Karte fungiert dann als Türöffner für den Laden und mit ihr wird auch bezahlt. An der Kasse erfasst jeder Kunde und jede Kundin die Ware selbst. Das Sortiment kann auf Wunsch durch regionale Produkte ergänzt werden. „Die totale Freiheit“, nennt das Geschäftsführer Bausch. Zu bestimmten Tageszeiten ist der Laden auch mit Personal besetzt - „in der Regel vier bis sieben Stunden täglich“, sagt Bausch.

Gute Preise dank Großeinkauf

MyEnso kauft im größeren Stil ein und kann so gute Preise anbieten. Das Zentrallager ist digital organisiert, Roboter sparen Zeit, Personal und Kosten. Die Halle ist das Herzstück des Unternehmens, das Läden im Bremer Umland, aber auch in Zella (Thüringen), Wollbach (Bayern) oder Gülzow (Schleswig-Holstein) betreibt.

Bevor aber „Tante Enso“ in ein Dorf kommt, fordert das Bremer Unternehmen einen „Liebesbeweis“, wie Manager Bausch es nennt: Im Ort müssen mindestens 300 Genossenschaftsanteile in Höhe von je 100 Euro gezeichnet werden. In Drangstedt war das kein Problem. „Tante Enso ist ein Gemeinschaftsprojekt und gelingt nur, wenn der Ort mit all seinen Anwohnern dahintersteht“, betont Bausch.

Der 60-Jährige hofft auf einen Marktanteil von 15 Prozent. Er kalkuliert einen Mindestumsatz von 300.000 Euro pro Filiale, von denen es Ende des Jahres schon 40 sein sollen, in Zukunft bundesweit 800. Dass in der Provinz umsatzmäßig Musik stecken könnte, sehen auch andere Unternehmen wie „Emma's Tag & Nacht Markt“ und „Tante M“, seit etwa einem Jahr ebenfalls die Rewe-Gruppe mit ihren voll automatisierten „Nahkauf Boxen“.

Leuten sollen sich im Dorf treffen und austauschen können

Doch voll automatisiert, das reicht nicht, meint Bausch. Er und sein Partner Norbert Hegmann haben 1,5 Millionen Euro in eine Marktstudie investiert, um herauszufinden, was die Menschen auf dem Land beim Einkaufen wirklich wollen. Heraus kam zunächst ein Kioskwagen, mit dem sie einmal wöchentlich einen Ort ansteuerten. Das Angebot floppte. „Da haben uns die Leute gesagt, ihr habt uns missverstanden“, erinnert sich Bausch. „Sie wollten einen echten Supermarkt.“

Der Laden soll auch eine soziale Funktion haben, stationär, mit Personal. „Wir hoffen, dass das hier ein Mittelpunkt wird, wo die Leute sich austauschen, sich mal wieder sehen“, betont Drangstedts Bürgermeister Platek. Der CDU-Mann denkt an die Feiern vergangener Jahre im Wiesengrund zurück und schwärmt: „Dieser Laden ist nicht fremd, hier fühlt man sich zu Hause. Derjenige, der hier einkauft, erinnert sich: Ach ja, da saß ich, da habe ich getrunken, gegessen, mit meiner Nachbarin gesprochen. Und hier kaufen wir jetzt zusammen ein. Ich glaube, das wird ein grandioser Erfolg.“

In Breddorf, etwa 60 Kilometer von Drangstedt entfernt, ist man noch nicht so weit. Die Menschen in dem Dorf nordöstlich von Bremen trauern um ihren „nah & gut“, der zum Jahreswechsel geschlossen hat. Die Inhaber sind in Rente gegangen, Nachfolger gibt es nicht. Aber immerhin: Die Bürgerversammlung in der örtlichen Sporthalle, bei der Bausch sein Konzept vorstellt, ist proppenvoll, die Sitzplätze reichen nicht. Wenige Wochen später ist die notwendige Zahl von Genossenschaftsanteilen gezeichnet. Jetzt steht fest: Auch Breddorf bekommt einen „Tante Enso“. Vielleicht schon im Frühsommer.

Dieter Sell