In einer inklusiven Gesellschaft ist die Integration aller Menschen auch und gerade in Arbeit und Beruf ein erklärtes Ziel. Mehr Menschen müssten dafür den geschützten Bereich von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) verlassen können. Für Personen mit besonderen Bedürfnissen gestaltet es sich jedoch überaus schwierig, aus der WfbM in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu wechseln. Es bedarf geeigneter Programme zur Förderung von inklusiven, individuellen Beschäftigungsbiographien. Eine prominente Initiative auf Bundesebene, die das erreichen will, ist das „Budget für Arbeit“ (BfA).
Mit dem BfA werden für Menschen mit Behinderungen, die berechtigt sind in einer Werkstatt zu arbeiten, Zugänge zum ersten Arbeitsmarkt ermöglicht. Das Programm gibt es bundesweit seit 1. Januar 2018. Es ist im Bundesteilhabegesetz in Paragraf 61 SBG IX geregelt. Demnach erhält der Arbeitgeber einen Lohnkostenzuschuss vom maximal 75 Prozent zum Ausgleich einer Leistungsminderung von beschäftigten „Budgetnehmern“. Diese haben Anspruch auf finanzielle Förderung für notwendige Unterstützung zur individuellen Eingliederung und Begleitung am regulären Arbeitsplatz.
Durch die Positionierung als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin wird die betroffene Person zum selbstbestimmten Akteur im Prozess - so ist jedenfalls die Idee des BfA in aller Kürze zu beschreiben. Damit soll der Weg, in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, systematisch ergänzt werden. Dazu kooperieren unter anderem die Werkstätten, Integrationsfachdienste, Betriebe und vor allem die betroffene Person selbst - im Idealfall - gleichberechtigt, um den Übergang in den neuen Job zu ermöglichen.
Tatsächlich wurde das Angebot des BfA bislang nur sehr zögerlich angenommen. 1.679 Leistungsberechtigte haben ein solches Budget erhalten (Stand 31.12.2020). Zum gleichen Zeitpunkt befanden sich 3.081 Leistungsberechtigte in anderen, länderspezifischen Förderprogrammen für den Übergang von der Werkstatt in den regulären Arbeitsmarkt.
Wie könnte das BfA eine bessere Wirkung entfalten? Auf diese Frage sucht das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „BfA-Gelingt. Gelingensbedingungen der Inanspruchnahme gestalten und teilen“ eine Antwort. Analysiert werden exemplarische Lösungen sowie Förder- und Hemmfaktoren für Übergänge aus der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt.
Das Projekt wird aus dem Ausgleichsfonds des Bundesarbeitsministeriums gefördert. Projektbeteiligte sind als wissenschaftliche Teams die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (Leitung: Prof. Joachim Thomas) und die Justus-Liebig-Universität Gießen (Leitung: Prof. Reinhilde Stöppler). Kooperierende Praxiseinrichtungen sind das Berufsbildungswerk der Rummelsberger Diakonie, das Heinrich-Haus Neuwied und das Josefsheim Bigge. Die Koordination übernimmt das Berufsförderungswerk Bad Wildbad (Leitung: Wolfgang Dings). Insgesamt wirken 15 Fachkräfte verschiedener Disziplinen mit, darunter Expertinnen und Experten aus der Psychologie, der Pädagogik, der Sonder-Pädagogik, und der Sozialen Arbeit.
Als Praxisforschungsprojekt war das Vorhaben von Beginn auf Analyse und Veränderung angelegt. Einen methodischen Rahmen bietet dafür das sogenannte Reallabor. Hier werden unter definierten Bedingungen jene Veränderungen inszeniert, die den Zielen des BfA künftig dienlich sein können.
Üblicherweise beschränkt sich sozialwissenschaftliche Forschung auf eine neutrale, beobachtende beziehungsweise messende Position. Das ist jedoch mit Blick auf anzustoßende Veränderungen unbefriedigend. In jüngerer Zeit gewinnt deshalb das Reallabor als Rahmen für intervenierende Forschungsansätze immer mehr Beachtung. Man kann sagen, dass hier Forschung und Entwicklung zusammenkommen. Das Team von „BfA Gelingt“ wählte diesen Ansatz.
An der KU wurden 70 Interviews mit Teilnehmenden des BfA-Programms sowie weiteren Expertinnen und Experten geführt. In der Auswertung der Gespräche wurden vier Einflussgrößen sichtbar, die zum Gelingen des BfA beitragen: die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Betroffenen selbst, die Werkstätten sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Zentrale Erkenntnis: Die bundesweit sehr uneinheitliche rechtlich-administrative Umsetzung des BfA überrascht. Regionale Zuständigkeiten, Trägerschaften, Antragsverfahren und nicht zuletzt Leistungen und Ansprüche variieren erheblich. Lohn- und Fahrtkostenzuschüsse werden sehr verschieden gehandhabt. Dies betrifft auch die eminent bedeutsame Praxis der Rentenberatung.
In der Folge ergeben sich Informationsdefizite, ein Entpflichtungsgefühl der Rehabilitationsträger, ungerecht erlebte Behandlung und eine erschwerte Prozessbearbeitung.
Die Werkstätten wiederum folgen ihrem sogenannten Triple-Mandat - also dem Auftrag von Rehabilitation, Inklusion und Wirtschaftlichkeit. Sie haben ein verständliches Interesse, die wechselwillige Leistungsträger in ihren Einrichtungen zu halten. Und: Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind nicht informiert, welche Arbeitsprofile in ihrem Unternehmen für die Zielgruppe tatsächlich geeignet sein können. Sie haben wenig Zeit, sich damit zu befassen. Erprobte Strategien und Handlungsempfehlungen fehlen bislang. Diese Lücke kann nun geschlossen werden.
Die Forschungsgruppe leitet aus diesen Erkenntnissen ab, dass die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen unbedingt transparent und vergleichbar sein müssen. Information ist also erste Pflicht! Die unterschiedlichen Interessen der Kooperationspartner gilt es offen zu verhandeln. Dabei kommt den Werkstätten für Menschen mit Behinderung eine zentrale Rolle zu. Die Beratung und Unterstützung der Zielgruppe muss unbedingten Vorragn haben. Denn für sie ist der Schritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt sowohl mit Risiken als auch mit Chancen verbunden.