Berlin (epd). Drei Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland (73 Prozent) haben nach eigenen Angaben seit der Corona-Pandemie mehr Stress: in der Schule, zu Hause und selbst mit Freundinnen und Freunden. Das ist eines der zentralen Ergebnisse aus einem Regierungsbericht, den Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 8. Februar in Berlin vorstellten.
Der Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ (IMA Kindergesundheit) war zuvor vom Kabinett beschlossen worden. Er empfiehlt der Politik, Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung der Corona-Folgen zu unterstützen, um Langzeitfolgen zu verhindern. Der Schwerpunkt müsse auf Kindern aus sozial benachteiligten Familien liegen.
Paus sagte, es dürfe nicht vom sozialen Status abhängen, wie gut junge Menschen Krisen überstehen. Kinder in beengten Wohnverhältnissen oder mit stark belasteten Eltern träfen die Corona-Folgen und die neuen Krisen besonders hart. Kinder und Jugendliche hätten in der Pandemie in hohem Maß Solidarität geübt, „jetzt ist es an uns, diese Solidarität zurückzugeben“, sagte Paus. Im Einzelnen nannte sie, dass die Ausgaben für Familienhilfen aufgestockt und Kindertagesstätten weiterhin mit Bundesmitteln unterstützt werden. Mit einem Zehn-Millionen-Euro-Modellprogramm für „Mental Health Coaches“ will Paus ab dem kommenden Schuljahr an etwa 100 Schulen Sozialpädagoginnen und -pädagogen im Umgang mit psychischen Krisen bei Kindern und Jugendlichen schulen lassen.
Gesundheitsminister Lauterbach will unter anderem dafür sorgen, mehr Therapieplätze für Kinder und Jugendliche zu schaffen, die schwer psychisch erkrankt sind. Es werde auch eine Regelung geben, die Gruppentherapien für Jugendliche ermögliche, sagte er. Beides werde sich in der zweiten Jahreshälfte bemerkbar machen. Der Minister rief alle Eltern auf, die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder wahrzunehmen und darauf zu achten, ob sie Störungen entwickelten. Je früher sie erkannt würden, umso besser seien sie behandelbar, betonte er.
Lauterbach wiederholte seine Einschätzung, dass Schulen und Kitas in Deutschland zu lange geschlossen waren: „Die sehr lange Phase der Schulschließungen war ein Fehler und hat den Kindern geschadet“, sagte er. Diese Schäden würden in dem Regierungsbericht dokumentiert. Deshalb müsse nun viel getan werden, um den Kindern zu helfen.
Der Abschlussbericht der IMA Kindergesundheit stützt sich auf sechs Untersuchungen zur Kindergesundheit und Corona-Folgen, deren Ergebnisse bereits veröffentlicht sind. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte stellen die Studien übereinstimmend eine erhöhte psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen und anhaltenden psychosomatischen Stress fest. Essstörungen und Depressionen haben besonders bei Mädchen zugenommen. Bei Jungen wird vermehrt Adipositas zum Problem.
Bei einem Teil der Kinder wurden Verzögerungen in der sprachlichen, emotionalen und schulischen Entwicklung festgestellt sowie Ausbildungsunterbrechungen bei Jugendlichen. In Untersuchungen, in denen die soziale Herkunft berücksichtigt wurde, fielen die Werte für benachteiligte Kinder deutlich höher aus. So schätzen etwa 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler ihren Gesundheitszustand heute schlechter ein als vor der Pandemie - unter benachteiligten Kindern sind es 40 Prozent. Die Handlungsempfehlungen der IMA Kindergesundheit richten sich an den Bund, die Länder und Kommunen sowie das Gesundheitswesen und die Wissenschaft.