Gräfenberg (epd). Seit Mitte März treffen sich donnerstags im Gräfenberger Gemeindehaus Geflüchtete aus der Ukraine mit ihren Betreuerinnen und Betreuern. Unter ihnen ist ein junger Mann, der mit seiner Familie vor dem Krieg aus Mariupol geflohen ist und seitdem seine Landsleute seelisch betreut: Valerii Pylypenko hat schon in der Ukraine psychosoziale Beratung angeboten und arbeitet seit Juli für das Dekanat in Oberfranken.
Ein tief fliegendes Flugzeug, ein unerwarteter Knall, schlaflose und von Albträumen geplagte Nächte oder schlicht die Verzweiflung, wie es weitergehen soll - Pylypenko kennt die Sorgen, mit denen die Menschen zu seinen regelmäßigen Sprechstunden kommen. Nicht erst seit der Flucht aus der Ukraine. In seiner Heimat hatte der 32-Jährige eine Praxis als Psychotherapeut und mit Menschen zu tun, die schon seit 2014 im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zur Waffe greifen mussten oder Angehörige verloren haben.
Ein Kreis aus rund 100 Personen besucht regelmäßig seine Angebote für Geflüchtete aus der Ukraine im Dekanat Gräfenberg. „Viele vermissen auch einfach ihre Freunde und Familien“, erzählt Pylypenko. Ihm gehe es genauso. Und immer wieder mischten sich in diese Gefühle auch die Zweifel, ob es richtig war zu fliehen. „Schießen kann ich nicht. Lieber setze ich mich für Menschen ein, die mit den Kriegsfolgen zu kämpfen haben“, sagt er. Daher biete er regelmäßig Einzel- oder Gruppengespräche für Kriegsflüchtlinge an.
Dass es hierfür eine finanzielle Förderung seitens der Landeskirche gibt, konnte Pylypenko damals nicht ahnen. Dekan Reiner Redlingshöfer hat sie aus den zehn Millionen Euro beantragt, die von der Landeskirche seit dem Frühjahr für die Beratung, Begleitung und Unterstützung Geflüchteter in Bayern zur Verfügung gestellt werden. Ab Juli war der Ukrainer zunächst halbtags, seit Oktober ist er in Vollzeit beschäftigt. Auf 520-Euro-Basis wurde zudem Anna Kastner angestellt. Die russischstämmige Deutsche übersetzt, wo es nötig ist.
Die Gehälter plus Neben- und Fahrtkosten werden dem Dekanat Gräfenberg über das Projekt „Herberge 2.0“ von der Landeskirche erstattet. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember wurden insgesamt 30.500 Euro bewilligt. „Eine weitere Verlängerung des Projekts bis Sommer ist geplant“, sagt Redlingshöfer. Pylypenko und Kastner sind auch mit dabei, wenn in Gräfenberg über „BildungEvangelisch Fränkische Schweiz“ Veranstaltungen auf die Beine gestellt werden, die nicht nur für Ukrainer gedacht sind.
„Die staatlichen Stellen kriegen leider nur wenig auf die Reihe“, ärgert sich Redlingshöfer. Wieder einmal habe die Kirche in die Bresche springen müssen. Im Jugendheim des Dekanats in Kappel waren im März dieses Jahres bereits Notunterkünfte entstanden, später auch in Räumen des Gemeindehauses selbst. Mittlerweile klappe es mit der Unterbringung seitens der politischen Gemeinden besser. Im Haus der Kirche ist jede Woche ein gutes Dutzend Freiwillige zur Stelle für die Ukrainer.
Zum Beispiel Heidi Schweidler. Die Rentnerin konnte bis vor kurzem kein Wort Russisch oder Ukrainisch, hat sich aber an ein altes Wörterbuch „Russisch - Deutsch“ ihrer Mutter erinnert, das nun für eigens organisierte Deutschkurse ausgepackt wurde. Andere organisieren Fahrdienste zu Behörden und zum Arzt oder bringen Kuchen zum Donnerstags-Treff mit. „Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir ein bisschen Heimat auf Zeit schenken. Wie lange das dauern wird, das ist ungewiss“, sagt Schweidler.
Auch Pylypenko hat noch keine rechte Perspektive. Immer wieder stehe er in Kontakt mit Freunden in der Ukraine. Gegen die aber doch immer wieder aufkommende Trostlosigkeit hilft meistens seine therapeutische Ausbildung. „Glücklicherweise habe ich Techniken gelernt, wie man auch dunkle Gemütstäler durchschreiten und sich wieder aufbauen kann“, berichtet er. Kraft schöpfe er aus den guten Erfahrungen, die er in Gräfenberg bislang machen konnte. „Ich lasse mir die Hoffnung nicht nehmen.“