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Ehrenamt

Wenn gute Nachbarn nicht helfen dürfen




Ehrenamtliche Nachbarschaftshelfer haben oft mit Bürokratie zu kämpfen.
epd-bild/Jens Schulze
Wer helfen will, hat es in Deutschland schwer. Vorschriften und Bürokratie stehen niederschwelligen Angeboten im Weg. Dabei wird nachbarschaftliche Hilfe gerade im ländlichen Raum dringend benötigt. Deutlich gemacht hat das nicht zuletzt die Coronakrise.

Obergrombach, Weingarten (epd). Die Coronakrise hat gezeigt, wie schnell Menschen auf Hilfe angewiesen sein können. Gerade auf dem Land fehlt oft die Infrastruktur, um auf professionelle Unterstützungsangebote im Alltag zurückzugreifen. Viele ältere Menschen leben allein im Haus, die erwachsenen Kinder sind weit weg. Manche Senioren haben keinen Führerschein, andere sind auf den Rollator angewiesen.

„Das ganz normale Leben einer Großfamilie findet in der Gesellschaft nicht mehr statt“, sagt Christine Speck. In ihrem Heimatort Obergrombach im Landkreis Karlsruhe hat sie 2021 eine Nachbarschaftshilfe ins Leben gerufen. Ein Arbeitskreis aus sechs Personen hat ein niederschwelliges Angebot ausgearbeitet.

Dorfeffekt: Jeder kennt jeden

„Wir wollen den Dorfeffekt nutzen“, erläutert Speck ihr Konzept. Im Dorf kennt jeder jeden. Sie sagt, dass die Annahme von Hilfe ein „schambesetztes Thema“ sei. Es sei schwierig, Hilfe einzufordern, wenn das Umfeld dazu nicht bereit sei.

Ehrenamtliche in Nachbarschaftshilfen bieten Begleitung zum Friedhof, Arzt oder Einkauf. Sie entlasten Angehörige und übernehmen kleine hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Hilfe beim Kochen. Pflege und Putzdienste zählen nicht zu ihren Aufgaben.

Für ihre Dienste erhalten Ehrenamtliche eine Aufwandsentschädigung. Als sogenannten „Entlastungsbetrag“ refinanzieren die Pflegekassen 125 Euro im Monat. Voraussetzung dafür ist in Baden-Württemberg, dass der Anbieter ein Anerkennungsverfahren bei Stadt- und Landkreisen nach der Unterstützungsangebote-Verordnung durchlaufen hat.

Hohe Anforderungen zur Qualitätssicherung

Die Anforderungen an die Qualitätssicherung wurden 2017 bundesweit angehoben. In Baden-Württemberg orientieren sie sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Qualität von niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangeboten vom 3. Juli 2015. Der Schulungsumfang umfasst mindestens 30 Stunden für ehrenamtlich Engagierte.

In den Kursen erlernen sie beispielsweise Basiswissen über Krankheits- und Behinderungsbilder sowie Kenntnisse im Umgang mit Krisen und Notfallsituationen. Wie das Sozialministerium Baden-Württemberg auf Anfrage mitteilte, gibt es landesweit „weit über 1.700 von den Stadt- und Landkreisen anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag“. Anbieter seien kirchlich getragene Sozialstationen, gemeinnützige Vereine sowie Angebote in kommunaler Trägerschaft.

Seit 40 Jahren versorgt etwa die Nachbarschaftshilfe Kürnbach Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, mit Essen. 30 bis 40 Haushalten hätten ihre Mitarbeiter während der Corona-Lockdowns das Essen „vor die Tür gestellt“, berichtet Ursula Essig vom Leitungsteam.

Essen und Freude bringen

Das Essen koche das örtliche Altersheim. Passende Ehrenamtliche hingegen seien schwer zu finden, so Essig. „Habe ich jemanden, der in die Familie passt?“, fragt sich die gebürtige Kraichtalerin vor jedem neuen Einsatz. Die Ehrenamtlichen sollten nicht nur das Essen hinstellen, sondern auch Freude mitbringen.

Träger der Nachbarschaftshilfe Kürnbach ist die Evangelische Kirchengemeinde Kürnbach. Über die Diakoniestation arbeitet sie eng mit den Schwestern des Pflegedienstes zusammen. Die Sozialstation ist eine Art Garant für die Qualitätssicherung der ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe.

Schulungen für Neugründungen Pflicht

Das Sozialministerium schreibt: „Sollten bereits Ehrenamtliche in einer Nachbarschaftshilfe vor der Beantragung der Anerkennung eingesetzt gewesen sein, so wird das Vorwissen, Vorerfahrungen oder Vorkenntnisse mit Relevanz für das jeweilige Angebotsprofil berücksichtigt und es kann von diesem Schulungserfordernis abgesehen werden.“

Für Neuanbieter wie den neugegründeten Verein in Obergrombach gilt das nicht. Das umfangreiche Anerkennungsverfahren ist der Grund, warum der Verein bisher nicht aus den Startlöchern kommt. „Ich bin noch in dieser Verwaltungsmaschinerie und nicht in Tätigkeit“, berichtet Speck. Sie bedauert, dass ihr zwischenmenschliches Engagement zuerst von der Pandemie und nun von der Bürokratie ausgebremst wird. Von dem Aufwand abschrecken lassen will sich Speck jedoch keinesfalls.

Susanne Lohse