Stuttgart (epd). Frontotemporale Demenz (FTD) ist eine Erkrankung, die ganz besonders die Angehörigen der Patienten herausfordert. Deshalb will die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg mit Seminaren und einer neuen Selbsthilfegruppe Angehörigen beistehen und gleichzeitig das Wissen um diese Demenzform in der Öffentlichkeit verbessern.
Die Patienten sind im Durchschnitt Menschen zwischen 50 und 60 Jahren, manche Erkrankten sind aber auch deutlich jünger, haben noch junge Kinder und stehen anfangs noch mitten im Arbeitsleben. Diese Demenzform geht mit Persönlichkeitsveränderungen und Verhaltensstörungen einher. Bundesweit sind aktuell etwa 33.000 Menschen betroffen.
„Die Betroffenen selbst erkennen meist nicht, dass sie krank sind. Geeignete Tagespflegeeinrichtungen, Heime und ambulante Dienste gibt es nur vereinzelt. Oft dauert es Jahre, bis FTD-Erkrankte die richtige Diagnose erhalten“, wissen die Expertinnen.
Die Münchner Professorin Janine Diehl-Schmid erläutert, dass FTD eine Krankheit ist, bei der Nervenzellen vor allem im Stirn- und Schläfenbereich, dem frontalen und temporalen Lappen des Gehirns, absterben. Von dort aus werden unter anderem Emotionen und Sozialverhalten kontrolliert.
Die Ehefrau eines mittlerweile verstorbenen Patienten schildert: „Peter benahm sich unpassend, distanzlos, unbeteiligt oder ordinär, hinkte in Gesprächen hinterher, wiederholte sich ständig.“ Er schimpfte laut, pöbelte oder schubste andere Menschen, hielt sich nicht mehr an Regeln. Ihre ersten Versuche, medizinische Hilfe zu bekommen, verpufften: „Ich fragte Freunde und Ärzte, aber meine Fragen kamen zu plötzlich, zu panisch und schließlich war ich es, die mit Depression ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Niemand untersuchte Peter.“ Als er dann endlich doch diagnostiziert wurde, war das „bei allem Schrecken fast auch Erleichterung. Nun kannte ich den 'Feind'“.
Professorin Diehl-Schmid bestätigt: „Die Diagnostik der Frontotemporalen Demenz kann schwierig sein. Es kommt nicht selten zu Verwechslungen mit psychischen Störungen wie Depression, Burn-out-Syndrom, Schizophrenie oder Manie.“ Dazu komme, dass die Betroffenen in der Regel kaum Krankheitseinsicht oder Therapiemotivation zeigten.
„Weil die Vorgänge, die zum Nervenzelluntergang führen, zum größten Teil nicht bekannt und nicht beeinflussbar sind, gibt es bisher allerdings auch keine gezielten Therapiemöglichkeiten. Die medikamentöse Behandlung zielt derzeit darauf ab, die Verhaltensauffälligkeiten der Patienten zu mildern.“ Meist seien Antidepressiva im Einsatz.
Bei der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg gibt es seit März eine digitale Angehörigengruppe, die sich alle vier Wochen trifft. Initiiert hat sie Melanie Liebsch. Die Remstälerin sagt von sich: „Die FTD meines Vaters prägt mich seit meiner Kindheit, und das aktive Netzwerken rund ums Thema wurde zur Herzensangelegenheit.“ Für sie sei ein offener und ehrlicher Umgang damit wertvoll geworden. „In den Austausch mit anderen Betroffenen zu kommen und meinen Weg zu teilen, erlebe ich als sehr bereichernd“, sagt sie.
Cathleen Todten ist beim Verein Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg die Ansprechpartnerin für die Erkrankung FTD. Sie organisiert Seminare für Angehörige von Menschen mit FTD und berät. Ein Tagesseminar wird im Juli in Stuttgart stattfinden für Mitarbeitende zur Begleitung von Menschen mit FTD in Unterstützungsangeboten. Zweitägige Angehörigenseminare gibt es 2023 im März im Bildungsforum Kloster Untermarchtal und im September im Bildungshaus Kloster Schöntal. Themen sind jeweils unter anderem medizinische Aspekte und Behandlungsmöglichkeiten, Strategien für den Umgang mit den Erkrankten und mit Stress- und Belastungssituationen. Außerdem wird darüber informiert, welche Unterstützungs- und Entlastungsangebote es gibt. Auch online gibt es zweimal im Jahr Angehörigenseminare.