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Diakoniechef: Aktion "#wärmewinter" sorgt zielgenau für Hilfen




Ulrich Lilie
epd-bild/Heike Lyding
Diakonie und Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben gemeinsam zur Initiative "#wärmewinter" aufgerufen. Der Begriff sei bewusst doppeldeutig gemeint, betont Diakoniepräsident Lilie. Welche politische Dimension sich dahinter verbirgt und wie kreativ die Aktionen vor Ort sind, erläutert er im epd sozial-Interview.

Berlin (epd). Ulrich Lilie betont: Der Zulauf der Menschen zu den sehr vielfältigen lokalen Angeboten von der Suppenküche bis hin zu Energiesparberatungen zeigt, dass ein Bedarf besteht. In Zeiten der hohen Inflation komme „ein Drittel der Menschen in Deutschland trotz der vielen beschlossenen staatlichen Hilfen kaum über die Runden“. Hier helfe der „#wärmewinter“ schnell, zielgenau und pragmatisch. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Lilie, die erste Kältewelle des Winters liegt soeben hinter uns. Diakonie und Kirche haben die gemeinsame Aktion „#wärmewinter“ gestartet. Wie sieht eine „typische“ Wärmewinter-Aktion vor Ort aus? Oder gibt es die gar nicht?

Ulrich Lilie: Da gibt es keine Schablone, denn der Ideenreichtum der Menschen in den Kirchengemeinden oder bei der Diakonie ist groß. Ich bin sehr beeindruckt, was ihnen in den vergangenen Wochen alles eingefallen ist, um die Aktion mit Leben zu füllen. Das geht vom Nachtcafé mit Erzählrunden, damit niemand alleine bleibt, über Einladungen zum Mittagessen bis hin zur sozialen Energieberatung. Mancherorts können auch direkt Anträge gestellt werden von Personen, die nachweislich in Schwierigkeiten sind, und die dann bis zu 550 Euro an Hilfen bekommen. Den Unterstützerinnen und Unterstützern ist landauf landab sehr viel Kreatives eingefallen.

epd: Besteht dafür überhaupt Nachfrage, außer von obdachlosen Menschen? In Deutschland dürften doch kaum Wohnungen unbeheizt bleiben, der Gasnotstand scheint vorerst abgewendet?

Lilie: Der Zulauf der Menschen zeigt, dass ein Bedarf besteht. Aber ich möchte noch mal auf den Titel der Kampagne „#wärmewinter“ hinweisen und ihn interpretieren. Wir wollen niemanden allein lassen und der sozialen und realen Kälte Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit entgegensetzen. Das Wort ist in doppelter Bedeutung gemeint. Es geht eben nicht nur darum, Räume zu heizen und warmes Essen zu verteilen. Es geht auch um zwischenmenschliche Wärme, um Kontakt, um Ansprache - alles Schritte gegen die durch Corona gewachsene Einsamkeit. Gerade in der Weihnachtszeit spüren ja viele Menschen ganz besonders schmerzlich, wenn sie keine oder nur wenige zwischenmenschliche Kontakte haben.

epd: Sie betonen auch die konkreten Hilfen ...

Lilie: Ja. Es geht um Hilfen beim Ausfüllen von Anträgen, etwa auf Wohngeld. Es geht um Sozialberatung, es geht um Schuldnerberatung, wo wir auf vorhandenes Knowhow der Diakonie zurückgreifen können. Wir helfen ganz konkret, dass die Leute ihre Rechtsansprüche geltend machen können. Ein Drittel der Menschen in Deutschland kommt trotz der vielen beschlossenen staatlichen Hilfen kaum über die Runden. Das ist klar, denn die Gelder sind ja noch nicht auf deren Konten. Wohngeld Plus, um ein Beispiel zu nennen, kommt vermutlich erst im April zur Auszahlung. Wir wollen jetzt schnell, zielgenau und pragmatisch helfen.

epd: Reden wir noch über das Geld: Hat die Energiepreispauschale, die für zusätzliche Kirchensteuereinnahmen gesorgt hat, diese Aktivitäten vor Ort gepusht?

Lilie: Ja, das hat sie. Wir freuen uns auch über viele Spenden für die Aktionen, wo Bürgerinnen und Bürger gesagt haben, wir brauchen die Energiepreispauschale selbst nicht, die stellen wir für die gute Sache zur Verfügung. Die Hilfsbereitschaft der Menschen in diesem herausfordernden Jahr ist wirklich beeindruckend. Genaue Zahlen, wie viel Geld letztlich in den Wärmewinter fließt, gibt es nicht, denn das läuft über die einzelnen Landeskirchen. Aber, und das freut mich ganz besonders, alle Landeskirchen der EKD stehen voll und ganz hinter der Aktion und geben die Zusatzeinnahmen an Bedürftige weiter. Das ist nicht nur ein richtiges Zeichen in dieser Zeit der Vereinfacher und Spalter, das ist wirklich hilfreich.

epd: Haben Sie nicht doch noch ein paar Zahlen zur Orientierung?

Lilie: Die Landeskirche in Sachsen reicht zum Beispiel 1,2 Millionen an die Diakonie weiter. Die Kirche in Mitteldeutschland ist in ähnlicher Größenordnung engagiert. Auf dem Gebiet der Diakonie Hessen fließen von der evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck mehr als fünf Millionen Euro in die Arbeit der regionalen diakonischen Werke. So können wir pragmatisch und zielgenau ein Teil der Lösung der Herausforderungen sein. Und es gibt in bestimmten Fällen sogar die Möglichkeit, Geld aus diesen Töpfen zur Unterstützung in Notlagen zu bekommen.

epd: Die Idee hat ja auch einen ernsten politischen Hintergrund. Kirche und Diakonie wollen jenen rechten Kräften begegnen, die einem „Wutwinter“ herbeireden. Droht hier wirklich eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Lilie: Ich sehe mit Sorge, dass extremistische Kräfte und rechtspopulistische Hetzer diese kritische Lage nutzen, um uns die Fake-Geschichte einer tiefen Spaltung im Land einzureden. Dem setzen wir Hilfsbereitschaft, professionelle Beratung und zwischenmenschliche Wärme entgegen. Das ist Kitt für den Zusammenhalt. Noch einmal: #wärmewinter ist genau die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit.

epd: Können aus der einmaligen Aktion dauerhafte Angebote entstehen?

Lilie: Ja, ich hoffe das. Denn die Aktion hat aus meiner Sicht einen wunderbaren und gewollten Nebeneffekt. Kirche und Diakonie vor Ort und alle anderen Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Milieu entdecken sich gerade neu. Sie übernehmen zusammen Verantwortung für ein soziales Miteinander. Warum sollen aus dieser neuen Vernetzung nicht dauerhafte Kooperationen werden?