Kassel (epd). Der unentgeltliche ehrenamtliche Einsatz für Mitmenschen kann mit einem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz honoriert werden. Dabei stehen nicht nur Freundschaftsbesuche zwischen Ortsverbänden des Deutschen Roten Kreuzes, sondern auch das Adventssingen eines Frauenchores im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung nach dem Willen des Gesetzgebers unter Unfallversicherungsschutz, urteilte am 8. Dezember das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.
Im ersten Fall hatten der Kläger, ein ehrenamtlicher Vorsitzender des DRK-Ortsvereins Teningen bei Freiburg, sowie weitere DRK-Mitglieder eine Einladung zur Generalversammlung des befreundeten DRK-Ortsvereins in Rippoldsau-Schapbach im März 2017 erhalten. Er wollte dort ein Grußwort halten und sich mit seinen DRK-Freunden über die Arbeit in dem Rettungsdienst austauschen. Doch auf dem Weg dorthin kollidierte der Mannschaftsbus mit einem anderen Auto. Ein Vereinsmitglied kam ums Leben, der Kläger und weitere Insassen wurden schwer verletzt.
Um insbesondere bessere Reha-Leistungen erhalten zu können, wollte der DRK-Ortsverbandsvorsitzende den Unfall als Arbeitsunfall anerkennen lassen. Der Unfallversicherungsträger lehnte ab. Zwar seien nach dem Gesetz ausnahmsweise auch Personen unfallversichert, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich, arbeiten und an satzungsmäßigen Veranstaltungen teilnehmen. Bei dem Freundschaftsbesuch habe es sich aber um eine unversicherte Freizeitveranstaltung gehandelt.
Das BSG stellte jedoch einen versicherten Arbeitsunfall fest. Nicht nur Hilfetätigkeiten bei Unglücksfällen, sondern auch „sonstige Tätigkeiten“, die den Zwecken des Hilfsdienstes wesentlich dienen, stünden unter Unfallschutz. Dabei komme es maßgeblich darauf an, dass das Verhalten des Versicherten auf die ehrenamtliche Tätigkeit ausgerichtet sei. Dies sei mit den Freundschaftsbesuchen der Fall gewesen. Der Kläger sei zusammen mit den anderen Mitgliedern des Verbandes ausdrücklich zum Freundschaftsbesuch eingeladen worden. Der Austausch über DRK-Angelegenheiten habe dabei im Vordergrund gestanden. Zudem habe der Kläger ein Grußwort halten wollen. Damit habe Unfallversicherungsschutz bestanden.
Auch im zweiten Verfahren bestätigte der 2. BSG-Senat einen Unfallschutz für ein ehrenamtliches Mitglied eines Frauenchores. Diese wollte im Dezember 2016 mit ihrem Chor an einem Adventssingen in den Räumen der evangelischen Kirchengemeinde Hohenthurm in der Gemeinde Landsberg bei Halle teilnehmen. Auf dem Weg dorthin verunglückte die Frau auf eisglatter Fahrbahn mit ihrem Auto. Sie erlitt eine hypoxische Hirnschädigung. Folge davon war eine Lähmung an Armen und Beinen.
Sowohl die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) als auch die Unfallkasse Sachsen-Anhalt lehnten die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Die VBG stellt Versicherte, die ehrenamtlich für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften oder für in deren Auftrag tätige Organisationen tätig sind, unter Versicherungsschutz. Die Unfallkasse soll dagegen laut Satzung den Versicherungsschutz für „bürgerschaftlich Engagierte“ abdecken.
Hier habe es sich aber mit der „Freude am Singen“ nur um ein ausgeübtes, nicht versichertes Hobby gehandelt, so die Unfallversicherungsträger. Die Frau habe auch nicht in einem Gottesdienst, sondern nur in Räumen der Kirche singen wollen.
Das BSG urteilte, dass allein die Ausübung eines Hobbys nicht unter Versicherungsschutz stehe. Beim Adventssingen habe es sich aber um eine „kirchliche Veranstaltung“ gehandelt, auch wenn der Frauenchor privatrechtlich organisiert sei. Es sei mit Einverständnis der Kirchengemeinde geplant und im lokalen Amtsblatt unter „Kirchliche Nachrichten“ angekündigt worden. Das Adventssingen sollte freiwillig, ehrenamtlich und unentgeltlich stattfinden, so dass ein Unfallschutz bestehe, urteilte das BSG. Dass eine ehrenamtliche Tätigkeit - wie hier das Singen in einem Chor - mit Freude ausgeübt wird, gehöre zum Wesen des Ehrenamtes und sei kein Grund, den Unfallschutz zu versagen.
Allerdings gilt der Unfallversicherungsschutz nicht pauschal für alle ehrenamtlichen Tätigkeiten, urteilte das Landessozialgericht (LSG) München bereits am 18. Oktober 2018. Versichert seien etwa ehrenamtlich Tätige in Rettungsunternehmen, in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, teilweise in öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften, im Bildungswesen und in der Wohlfahrtspflege. Auch ehrenamtliche Übungsleiter stünden unter Versicherungsschutz. Fallen Vereinsmitglieder - wie im Streitfall ein ehrenamtlicher Baumwart eines Ortsverschönerungsvereins - nicht unter die gesetzlichen Ausnahmeregelungen, müsse ihr Verein für einen Versicherungsschutz eine freiwillige Unfallversicherung abschließen.
Die gesetzliche Förderung des Ehrenamtes geht nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch nicht so weit, dass ehrenamtliche Mitarbeiter für ihre Tätigkeit einen Kündigungsschutz genießen. Die Erfurter Richter wiesen damit eine bei der Telefonseelsorge ehrenamtlich tätige Frau ab, die gegen ihren Willen von ihrem Dienst entbunden wurde. „Die Ausübung von Ehrenämtern dient nicht der Sicherung oder Besserung der wirtschaftlichen Existenz“, heißt es im Urteil. „Sie ist Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber Belangen des Gemeinwohls und den Sorgen und Nöten anderer Menschen.“ Kündigungsschutz könne es nur für ein Arbeitsverhältnis und nicht für eine unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeit geben, so das BAG.
Az.: B 2 U 14/20 R (BSG, DRK)
Az.: B 2 U 19/20 R (BSG, Kirchenchor)
Az.: L 7 U 36/14 (LSG München)
Az.: 10 AZR 499/11 (BAG)