Frankfurt a.M. (epd). In den Pflegeberufen wird mit umgekehrten Vorzeichen über Leiharbeit diskutiert: Arbeitgeber fordern ihre sofortige Begrenzung, Gewerkschaften loben hingegen die relativ attraktiven Arbeitsbedingungen der Leiharbeit. „Im Bereich der Pflege stehen die Dinge auf dem Kopf“, sagte Matthias Gruß vom ver.di-Fachbereich Altenpflege dem Evangelischen Pressedienst (epd). Während Arbeitgeber die Politik deshalb zum Handeln auffordern, fordern Arbeitnehmervertretungen bessere Rahmenbedingungen für die regulären Pflege-Jobs.
In vielen Branchen greifen Arbeitgeber auf Leiharbeit zurück, um die Betriebskosten zu reduzieren. Laut ver.di sind es in der Pflege aber oft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das indirekte Beschäftigungsmodell bevorzugen. Teilweise bieten Leiharbeitsfirmen den Pflegekräften demnach eine bessere Bezahlung. Zudem seien die Arbeitszeiten in der Leiharbeit für die Beschäftigten besser planbar und verbindlicher: Anbieter werben damit, dass Leiharbeiter klare Arbeitszeitpräferenzen angeben können - beispielsweise dass sie nicht für Wochenend- oder Nachtschichten zur Verfügung stehen.
Außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten haben die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dann keinen direkten Zugriff auf die Arbeitnehmer. Sie können sie also bei Personalengpässen nicht für kurzfristige Vertretungen oder Überschichten einsetzen. Genau das führe dazu, dass die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit von einigen Pflegekräften bevorzugt werden, erklärt ver.di.
Einigkeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden herrscht darüber, dass die Leiharbeit eine Belastung sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Stammbelegschaft ist. „Für die Versorgung der Patientinnen und Pflegebedürftigen und für die Zusammenarbeit im Team ist das verheerend“, sagt Gewerkschafter Gruß. Ver.di warnt vor einer Spaltung der Belegschaft. Leiharbeit gehe häufig zulasten des Stammpersonals, das dadurch in noch unattraktivere Arbeitszeiten gedrängt werde und ständig neues Personal einarbeiten müsse.
Ein Verbot der Leiharbeit unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen in der Pflege lehnt ver.di aber ab. Die Verantwortung sieht die Gewerkschaft bei den Arbeitgebern: Diese müssten es durch verbindliche Dienstpläne und tarifvertragliche Bezahlung erreichen, „Pflegepersonen zu halten und neue zu gewinnen“, sagte Gruß dem epd.
Demgegenüber stehen die Arbeitgeber: Der Geschäftsführer der Sozial-Holding Mönchengladbach, Helmut Wallrafen, forderte Ende November in einem Offenen Brief die Begrenzung der Leiharbeit in der Altenpflege. Wallrafen beklagt „Unzuverlässigkeit, schlechte Pflege und Unruhe in den Pflegeteams des Stammpersonals“. Die Belange der pflegebedürftigen Menschen fänden nicht genug Beachtung. Eine Eindämmung sei „überfällig“, heißt es in dem an Politik, Pflegekassen und Medien adressierten Brief.
Wallrafen gibt an, die Zahl der Leiharbeiter habe sich zwischen 2014 und 2020 verdoppelt, wenn auch nur auf rund zwei Prozent der insgesamt in der Altenpflege beschäftigten Arbeitnehmer. Von zwei Prozent aller Beschäftigten in den Pflegeberufen im Jahr 2021 geht auch die Bundesagentur für Arbeit aus. Ver.di wertet diese Zahlen als „immer noch gering“.
Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) setzt sich dafür ein, „den Anteil an Leiharbeitskräften in der Pflege nachhaltig zu reduzieren“, wie der Verband dem epd mitteilte. Der Hamburger bpa-Landesvorsitzende Frank Wagner kritisiert, Zeitarbeitsunternehmen würden aktiv Stammpersonal aus den Einrichtungen abwerben, „um sie dann wieder zurückzuvermieten“.
Laut bpa sind Leiharbeiter für die Arbeitgeber deutlich teurer. Dies habe 2019 eine Umfrage des Verbandes unter seinen Mitgliedern ergeben.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hält Forderungen nach sofortiger Begrenzung der Leiharbeit für kurzsichtig. Die Einrichtungen könnten derzeit nicht auf Leiharbeiterinnen verzichten. Auch der DBfK gab gegenüber dem epd an, dass Arbeitnehmer in der Leiharbeit teils besser bezahlt werden als im direkten Beschäftigungsverhältnis.