sozial-Recht

Europäischer Gerichtshof

Drohende erhebliche Schmerzen können Abschiebungshindernis sein



Luxemburg (epd). Schwer erkrankte Ausländer dürfen nicht ohne Weiteres in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Dies gilt zumindest dann, wenn in dem Heimatstaat keine ausreichende medizinische Versorgung besteht und dem Betroffenen dort letztlich eine erhebliche und unumkehrbare Zunahme der mit dieser Krankheit verbundenen Schmerzen droht, urteilte am 22. November der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg im Fall eines russischen, in den Niederlanden sich aufhaltenden Krebspatienten.

Der heute 34-jährige Mann war bereits mit 16 Jahren an einer seltenen Form von Blutkrebs erkrankt. Er befindet sich derzeit in den Niederlanden zur Behandlung. Mehrere Asylanträge wurden von den niederländischen Behörden und Gerichten abgelehnt, zuletzt im Jahr 2020. Gegen seine Schmerzen erhält der Patient medizinisches Cannabis. In Russland ist die Verwendung von Cannabis in der Medizin verboten.

Kein medizinisches Cannabis in Russland

Gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen setzte sich der Mann gerichtlich zur Wehr. Die Behandlung auf der Basis von medizinischem Cannabis in den Niederlanden sei für seine Schmerzbehandlung wesentlich. In Russland müsse diese Behandlung eingestellt werden, so dass er nicht mehr auf menschenwürdige Weise leben könne.

Das Bezirksgericht Den Haag legte den Fall dem EuGH zur Prüfung vor. Die Luxemburger Richter urteilten, dass illegal sich aufhaltende Ausländer sich neben der Menschenwürde auch auf das Grundrecht der Achtung des Privatlebens berufen können. Hierzu gehörten auch medizinische Behandlungen. Vor Erlass bei einer Rückreiseentscheidung müsse die Ausländerbehörde daher den Gesundheitszustand prüfen.

Führe eine unzureichende medizinische Versorgung im Herkunftsland dazu, dass dies ihm „der tatsächlichen Gefahr einer raschen, erheblichen und unumkehrbaren Zunahme der durch seine Krankheit verursachten Schmerzen aussetzen würde“, könne die Ausweisung EU-Recht verletzen. Dies sei dann der Fall, wenn „das Ausbleiben einer solchen Behandlung ihn Schmerzen von einer solchen Intensität aussetzen würde, dass es gegen die Menschenwürde verstieße“. So könnten die Schmerzen schwere und unumkehrbare psychische Störungen verursachen oder Kranke sogar zum Selbstmord veranlassen. Über die Klage des krebskranken Russen muss nach diesen Maßgaben nun das Bezirksgericht Den Haag entscheiden.

Az.: C-69/21