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Behinderung

Kein Medikamenteneinsatz bei Minderjährigen in Eben-Ezer



Lemgo (epd). In Eben-Ezer kamen zwischen 1945 und 1975 bei Minderjährigen keine Prüfpräparate zum Einsatz. Das belege eine Studie, teilte die Stiftung am 19. November in Lemgo mit. Demnach wurden Kindern und Jugendlichen in Erziehungsheimen und Einrichtungen des Trägers ohne ihr Wissen und ohne Zustimmung der Eltern keine neu entwickelten Medikamente verabreicht, um deren Wirkung zu erproben.

Allerdings gab es aus heutiger Sicht Mängel bei der medizinischen Aufklärung von jungen Bewohnern und Bewohnerinnen sowie deren Angehörigen, sagte Frank Konersmann, Historiker und Archivar der Stiftung Eben-Ezer, der die Studie erstellt hat.

Zufallsstichprobe von 112 Patienten

Der Erhebung liegt den Angaben nach eine Zufallsstichprobe von 112 jungen Eben-Ezer-Patienten und -Patientinnen zwischen 1945 und 1975 zugrunde. Aus den Akten gehe hervor, dass rund zwei Drittel dieser Jungen und Mädchen mit Psychopharmaka behandelt worden seien, teilte Konersmann mit. Über die Jahrzehnte seien insgesamt 168 verschiedene Medikamente zum Einsatz gekommen. „Aber keines davon war ein Prüfpräparat“, betonte der Historiker: „Sämtliche Medikamente hatten zum Zeitpunkt ihres Einsatzes schon Marktreife erlangt.“

Eine weitere zentrale Erkenntnis seiner Untersuchung ist, dass durch die gegebenen Medikamente bei keinem Patienten und keiner Patientin eine Schädigung verursacht wurde: „Es gibt keinen einzigen Beleg für langfristige Nebenwirkungen.“

In Eben-Ezer fanden der Untersuchung zufolge auch keine sogenannten Reihentestungen der Pharma-Industrie statt. Ein wirtschaftliches Interesse habe beim Einsatz der Medikamente also nicht bestanden, betonte Konersmann.

„Keine medizinischen Alternativen“

Der leitende Arzt der Stiftung Eben-Ezer, Thorsten Löll, betonte, im untersuchten Zeitraum hätten die Präparate keineswegs nur einer sozialen Disziplinierung von Patienten und Patientinnen gedient, sondern auch therapeutischen Zwecken. Im historischen Kontext sei zudem zu berücksichtigen, dass es im untersuchten Zeitraum anders als heute keine medizinischen Alternativen gegeben habe.

Kritik übten Konersmann und Löll an der bis Mitte der 70er-Jahre gängigen Praxis, nicht über die Medikamente und ihre Folgen aufgeklärt und keine Einwilligungen von Erziehungsberechtigten eingeholt zu haben. Erst 1976 wurden in dieser Hinsicht mit der Einführung des Arzneimittelgesetzes klare Regelungen getroffen. „Vorher war das einfach nicht üblich - auch nicht in Eben-Ezer“, so Konersmann.

Die Stiftung Eben-Ezer ist seit 1. Januar 2022 Teil der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Für Bethel hatte ein interdisziplinäres Forscherteam die Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen in den Jahren 1949 bis 1975 bereits 2020 veröffentlicht.

Dirk Baas