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Flüchtlinge

"Wir sind als Familie zusammengewachsen"



Für manchen jugendlichen Flüchtling, der ohne Familie nach Bayern gekommen ist, kann eine Pflegefamilie ein Anker sein. Solche Pflegekinder machen meistens gute Schulabschlüsse und finden eine Ausbildungsstelle. Ein Beispiel aus Nürnberg.

Nürnberg (epd). Birgit Vogt (Name geändert) bewohnt ein kleines, helles Reihenhaus mit Wintergarten in einem Nürnberger Stadtteil. Wohnzimmer und Küche im Erdgeschoss, die Treppe rauf ihr Schlafzimmer und das Bad. Das Zimmer im Dachgeschoss ist das Reich von Hamid (Name geändert). Der 18-jährige Afghane ist vor zweieinhalb Jahren als unbegleiteter Jugendlicher nach Deutschland gekommen - er ist Birgits Pflegesohn.

Zu laut zum Lernen

Erst seit wenigen Monaten kennen sich die 45-jährige Mutter und der Sohn. „Wir finden uns zusammen, lernen unsere Stärken, Schwächen und Marotten mit der Zeit kennen oder auch nur, wer was zu essen mag“, berichtet sie vom neuen Alltag als alleinerziehende Mutter. Ihre Arbeitszeit hat die Beschäftigte am Klinikum Fürth reduziert, um für Ihren Pflegesohn da zu sein, mit ihm an manchen Tagen nach der Schule Mittag zu essen oder ihm bei den Schularbeiten helfen zu können. Sie, die bisher keine Kinder hatte, geht zu Sprechstunden und Elternabenden. Hamid ist ehrgeizig, erzählt sie. Er wolle an der Wirtschaftsschule eine gute Mittlere Reife ablegen.

Zuvor hat Hamid in einer Nürnberger Wohngruppe gelebt, sich dort aber nicht wohlgefühlt. Der ordnungsliebende Junge hat den Kopf geschüttelt über ständige Diskussionen über Dienstpläne für die Hausarbeit, ihm war es zu laut zum Lernen, hat er Birgit Vogt erzählt. Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin hatte bereits Kontakt zu der Wohngruppe und die Patenschaft eines anderen Flüchtlings übernommen, der inzwischen eine Ausbildung zur Pflegefachkraft macht. Nun fragte die Wohngruppenleiterin, ob sie sich auch ein Pflegekind vorstellen könne. Nach dem „Probewohnen“ waren Birgit und Hamid schnell eine kleine Familie, unterstützt von den „Großeltern“, Birgits Eltern, mit denen sie am Wochenende Ausflüge machen.

Aufbau von Notschlafstellen

Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Bayern kommen, steigt gerade stark an. Allein in Mittelfranken leben derzeit über 2.000 Asylbewerber in den Erstaufnahmeeinrichtungen, teilt die Regierung von Mittelfranken mit. Die Einrichtungen seien zu mehr als 100 Prozent ausgelastet. Es sind auch wieder mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland gelangt. Derzeit sind in Mittelfranken rund 400 registriert. Sie finden eine Bleibe in stationären Einrichtungen in „Bereitschaftspflegefamilien“, so die Regierung.

Aber die Plätze für die jungen Flüchtlinge ohne Familie sind rar. In den kommenden Wochen würden gerade aus dem Iran und dem Irak noch mehr Jugendliche ankommen, sieht der Leiter des Fachbereichs Migration der Rummelsberger Diakonie, Werner Pfingstgraef, voraus. Alle Träger hätten jedoch in den vergangenen Jahren Unterbringungskapazitäten abbauen müssen. In Windeseile würden nun Notschlafstellen geschaffen.

Solche Quartiere in einfachen Pensionen oder Gemeinschaftsunterkünften sind nach Ansicht der Leiterin des Pflegekinderdienstes der Rummelsberger Diakonie, Ulla Heppner, „oft prekär“. Sie sucht daher nach Pflegefamilien. Die Prognosen für Flüchtlinge, die in Familien unterkommen, sei sehr gut, erzählt Heppners Kollege Benno Schlag. In den vergangenen Jahren hätten sie 30 bis 40 Pflegekinder untergebracht, alle hätten eine Ausbildung abgeschlossen. 90 Prozent der Familien sagten, sie würden wieder einen jungen Asylbewerber aufnehmen.

1.000 Euro für Pflegefamilien

Pflegefamilien, die einen Jugendlichen aufnehmen, erhalten 1.000 Euro Pflegegeld und werden vom Fachdienst über bürokratische Hindernisse geführt. „Wir kennen die Fallstricke“, sagt Schlag. Er klärt Probleme mit dem Jugendamt oder einem Vormund. Wenn es beim Asylantrag hakt, vermittelt man einen Fachanwalt.

Birgit Vogt hat erlebt, wie das „Damoklesschwert Aufenthaltsrecht“ über ihrem Hamid schwebte. Erst seit er eine Duldung für zwei Jahre habe, könne er nachts schlafen. Was der junge Mann bei seiner Flucht erlebt hat, erzählt Hamid nur bruchstückhaft. Vogt weiß aber, „mit Unklarheiten muss man umgehen“. Sie sei fest davon überzeugt, dass jeder Mensch, der eine solche Flucht auf sich nehme, „einen wirklich guten Grund dafür hat“. Zumindest ein Teil der Fluchtursachen sei vom politischen Handeln und dem Konsumverhalten der Menschen in Deutschland verursacht, „das empfinde ich als zusätzliche Motivation, einem geflüchteten Menschen ein Zuhause anzubieten“.

Ihr Pflegesohn fasst immer mehr Vertrauen zu ihr, stellt Birgit fest, „wir sind hier als Familie zusammengewachsen und für mich ist er und bleibt mein Sohn“. Die 45-Jährige überlegt gerade, noch einen zweiten jungen Flüchtling aufzunehmen.

Jutta Olschewski