Hannover (epd). Hundegebell erfüllt an diesem Herbsttag den Platz vor der Clemens-Basilika am Rand von Hannovers Innenstadt. Etwa ein Dutzend Menschen und ihre Vierbeiner stehen vor einem weißen Van mit offener Seitentür an. Unter ihnen ist auch Rentnerin Lucia mit ihrem Chihuahua-Mischling Benny, um Medikamente abzuholen. „Mein Hund ist schwer herzkrank“, sagt sie mit sorgenvoller Miene und nimmt das nervös wirkende Tier auf den Arm. „Ich habe für ihn alles ausgegeben, was ich habe.“ Mit rund 1.000 Euro reicht Lucias Rente gerade so zum Leben, ist aber dennoch zu hoch, um nennenswerte staatliche Unterstützung zu bekommen. Ihr gehe es schlechter als einem Sozialhilfeempfänger, klagt sie.
Ein Herz für Tiere zu zeigen, darum geht es den Organisatoren des Angebots für arme Hundehalter mit und ohne Wohnung. Hierfür kommt das Tierarztmobil seit anderthalb Jahren an jedem Mittwochnachmittag auf den Platz. Die Mitarbeiter bieten im Heck des Autos kostenlose tierärztliche Behandlung. Außerdem können sich die Besucher Futter, Halsbänder und Hundedecken gegen die Kälte mitnehmen.
Möglich macht dies eine Stiftung des 2020 verstorbenen Cartoonisten Uli Stein. Steins ehemalige Managerin Katja Seifert leitet die Stiftung. Für Obdachlose sei ein Hund ein Schutz vor Übergriffen und oftmals der einzige Freund, erläutert sie. „Das merken wir auch daran, dass mancher mit den Nerven völlig am Ende ist, wenn dem Tier etwas fehlt.“
Um sein Tier sorgt sich auch ein junger Mann im Punker-Outfit, der für die wöchentliche Arthrose-Spritze mit seinem schwarzen Labrador „Stasi“ gekommen ist. „Sollte Stasi mal sterben, hole ich mir eine Knarre und erschieß mich“, sagt der Mann, der sich „Hose“ nennt, halb im Scherz. Der 31-Jährige lebt in einem Jugendwohnprojekt der Stadt Hannover. Den Tierarzt könne er sich nicht mehr leisten, „wegen der Inflation und solchen Sachen“. Hose hat das Tier aufgenommen, als er 18 und der Hund ein halbes Jahr alt war. Gemeinsam haben sie in sechs verschiedenen Ländern gelebt. „Der Hund ist mein Leben“, sagt Hose. „Freundinnen kommen und gehen. Stasi bleibt.“
Manchmal rettet das Tierarztmobil sogar Leben. Die junge Tierärztin Astrid Galka steht im Van neben dem Behandlungstisch und erzählt: Eine Frau, die mit ihrem Partner auf der Straße lebt, brachte kürzlich die schwerkranke Hündin Samira im Kinder-Buggy her. Samira konnte nicht mehr laufen und hatte seit Tagen nicht gefressen. Galka diagnostizierte eine akute Gebärmutterentzündung. Sie operierte das Tier in ihrer Praxis im nahen Garbsen. „Da war nicht klar, ob sie die Nacht überlebt. Zum Glück hat sie alles gut überstanden.“
Etwa 20 Menschen kommen derzeit jede Woche, sagt Galka. Voraussetzung ist eine Bedürftigkeitsprüfung. Derzeit werden im Mobil nur Hunde behandelt. Für Katzen sei dieser Ort zu stressig, sagt die Veterinärin. „Da müsste man aufpassen, dass sie nicht weglaufen. Wenn jemand eine kranke Katze hat, vereinbaren wir einen Termin in der Praxis.“
Noch lieber würde die Tierärztin mit dem Mobil in der Innenstadt vorfahren, wo sich mehr Wohnungslose aufhalten. Vor St. Clemens fühlt sie sich „ein bisschen aufs Abstellgleis gestellt“, sagt sie. Doch die Stadt habe das nicht erlaubt, um zu verhindern, dass noch mehr Obdachlose in die City kommen. „Ich vermute, dass wir viele gar nicht erreichen, weil sie nicht wissen, dass es uns gibt.“
Tierärztin Galka hat einst als Tierschützerin zu ihrem Beruf gefunden. Doch sie weiß, dass ihre Arbeit auch den Menschen dient. Hunde seien immerhin die „treuesten Sozialpartner“. „Denen ist egal, wie man aussieht, wie viel Geld man hat oder wie die Lebenssituation ist.“ Umso mehr besorgt Galka die aus ihrer Sicht zunehmende Armut. Für Hundehalter komme noch hinzu, dass Tierarzt-Leistungen mit der neuen Gebührenordnung teurer wurden. „Ich vermute, dass es danach eine ganze Welle von Menschen geben wird, die sich an uns wenden.“
Zu einer Situation wie im Sommer dürfe es nicht wieder kommen. Damals wurde Hannover zum Flüchtlingsdrehkreuz. „Wir waren auch an den Messehallen. Die Ukrainer sind ja fast alle mit Tieren gekommen. Aber das hatte zur Folge, dass uns das Futter und das Geld ausgegangen sind.“ So musste das Angebot einen Monat aussetzen. Auch jetzt sei das Tierarztmobil wieder mehr als üblich auf Spenden angewiesen, betont Galka.
Stiftungsleiterin Seifert unterstreicht den Spendenaufruf. Besonders Geld- und Futterspenden würden derzeit benötigt, sagt sie und entschuldigt sich: „Da kommt Samira.“ Freudig geht Seifert auf die Besucherin und ihre wieder quicklebendige Hündin zu - und wird schwanzwedelnd von Samira begrüßt.