Berlin (epd). Im Streit um das Bürgergeld steht der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat unter Zeitdruck. Dem Bundesrat soll schon am 25. November ein Kompromiss zur Abstimmung vorliegen. Andernfalls wird es unwahrscheinlich, dass rund 5,4 Millionen Menschen die neuen, höheren Regelsätze des Bürgergelds zum Januar auf ihren Konten haben. Das aber ist gleichermaßen das Ziel von Ampelkoalition und Union, obwohl sie sich bis zuletzt im Bundestag und Bundesrat über das Bürgergeld heftig gestritten haben. Nun kommt es darauf an, wie die Bundesländer sich verhalten.
Das Vermittlungsverfahren ist nötig geworden, weil die Bundesländer, in denen die CDU mitregiert, dem Gesetz der Bundesregierung nicht zugestimmt haben und es deshalb in der Länderkammer durchfiel. CDU-Chef Friedrich Merz hatte die Ablehnung angekündigt. Er sah Deutschland auf dem „Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen aus Steuermitteln“. Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ist das Bürgergeld „sozial unfair und ungerecht“. Arbeit lohne sich nicht mehr, hieß es aus der Union allenthalben. Nun sitzt Merz mit am Tisch im Vermittlungsausschuss, dem je 16 Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer und der Fraktionen im Bundestag angehören.
Hinter den Kulissen wird die Sitzung des Vermittlungsausschusses, die am 23. November stattfinden soll, intensiv vorbereitet. Voraussichtlich unter dem Vorsitz der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), und des Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion im Bundestag, Hendrik Hoppenstedt, soll es zu einer Einigung kommen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben bisher mehr Kompromissbereitschaft in Richtung der Union gezeigt als die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, die CDU und CSU mahnte, ihre Blockadehaltung aufzugeben.
Das Bürgergeld soll die Hartz-IV-Leistungen ablösen. Vorgesehen sind Änderungen, die von Praktikern seit Jahren gefordert werden und kaum für Diskussionen sorgen. Im Kern sollen die Vermittler weniger Zeit mit Formalien und mehr mit der Betreuung der Menschen verbringen können. Dazu zählt auch eine intensivere Unterstützung beim Nachholen von Berufsabschlüssen und Weiterbildungen, weil die meisten Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben. Politisch umstritten sind aber alle Änderungen, die den Grundsatz des Forderns und Förderns aus Sicht der Union einseitig in Richtung Fördern verschieben.
Dazu zählt eine „Vertrauenszeit“ im ersten halben Jahr, in der möglichst wenig Sanktionen ausgesprochen werden sollen. Sie steht jetzt zur Disposition - die FDP sieht sie als Verhandlungsmasse für eine Einigung im Vermittlungsausschuss. Aus Sicht der SPD und der Grünen hingegen soll in den Jobcentern kein Klima des Misstrauens herrschen. Arbeitslose und Behörde sollen zusammenarbeiten, um den besten Weg zurück in Arbeit zu finden. Für dieses Signal steht die Vertrauenszeit. Vor allem die SPD will damit den Geist des Hartz-IV-Systems loswerden, das sie vor 18 Jahren selbst eingeführt hat.
Verhandelt werden wird auch über die zweijährige Karenzzeit, in der Bürgergeld-Bezieher anfangs in ihrer Wohnung bleiben können, auch wenn sie eigentlich zu groß ist und nicht an ihr Erspartes gehen müssen, sofern es 60.000 Euro nicht übersteigt. Sie müssen darüber nur eine Selbstauskunft vorlegen. Für jedes weitere Haushaltsmitglied kommen 30.000 Euro hinzu.
Diese Regelung war während der Corona-Pandemie von Union und SPD eingeführt worden, damit Selbstständige, die ihre Tätigkeit nicht ausüben konnten, ihr Kapital für einen Wiedereinstieg ins Geschäft nicht aufzehren mussten. Im Streit ums Bürgergeld führte die 60.000-Euro-Regelung zu einer Empörungswelle auf Seiten der Union: Eine vierköpfige Familie könne 150.000 Euro auf dem Konto haben und Bürgergeld beziehen, kritisierte der Vize-Fraktionsvorsitzende Hermann Gröhe (CDU) im Bundestag. Viele könnten von einem solchen Vermögen nur träumen.
Die FDP will hart um ein relativ hohes, anfängliches Schonvermögen verhandeln, damit vor allem Selbstständige aus der Arbeitslosigkeit heraus wieder auf die Beine kommen. Sie landen sofort im Bürgergeld, wenn sie Unterstützung brauchen. Die zweijährige Karenzzeit ist SPD und Grünen ein wichtiges Anliegen. Ob sie eine Verkürzung akzeptieren würden, ist offen.
Abzusehen ist, dass das Bürgergeld-Gesetz in zwei Stufen in Kraft treten soll. Zum 1. Januar 2023 sollen die Regelsätze steigen - für einen Alleinstehenden von 449 Euro auf 502 Euro im Monat. Um die Jobcenter zu entlasten, soll eine Bagatellgrenze von 50 Euro eingeführt werden, bis zu der zu viel gezahlte Leistungen nicht mehr zurückgefordert werden. Erst in einem zweiten Schritt, im Juli 2023, sollen den Plänen zufolge dann die neuen Regeln für bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten wirksam werden, die stärkere Förderung von Berufsabschlüssen und auch - sollte sie den kommen - die Vertrauenszeit. Für diese Änderungen brauchen die Jobcenter mehr Zeit.
Anfang November hatte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles gedrängt, die Entscheidung über das Bürgergeld müsse bis Ende November gefallen sein, damit die Erhöhung kommen könne. Ein BA-Sprecher bekräftigt auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd): „Bei einem späteren Beschluss können wir die Auszahlung zum 1. Januar 2023 wegen der notwendigen technischen Vorlaufzeiten nicht mehr garantieren.“