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Kirchen

Gastbeitrag

"Keine Verhandlungsparität in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen"




Bernhard Baumann-Czichon
epd-bild/privat
Kirchliche Betriebe sollten, wo sie im Wettbewerb zu weltlichen Anbietern stehen, "uneingeschränkt dem weltlichen Arbeitsrecht unterworfen" sein, fordert der Anwalt für Arbeitsrecht, Bernhard Baumann-Czichon im Gastbeitrag. Sein Appell richtet sich auch an die Bundesregierung.

Die beiden Kirchen mit Diakonie und Caritas sind ein großer Arbeitgeber. Zusammen beschäftigen sie fast 1,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Allein von 2000 bis 2020 stieg die Zahl um rund 555.000 Personen. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Kirchenmitglieder um 10,1 Millionen. Nach kirchlichem Verständnis bilden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Dienstgemeinschaft, die den kirchlichen Auftrag erfüllt. Finanziert wird dieser „kirchliche Auftrag“ ganz überwiegend aus öffentlichen Mitteln für Krankenhäuser, Alten- und Jugendhilfe usw. Aus dem Leitbild der Dienstgemeinschaft leiten beide Kirchen ihre Ansprüche an das „kirchliche Arbeitsrecht“ ab: besondere Loyalitätsanforderungen, Lohnfindung im „Dritten Weg“ bei gleichzeitigem Ausschluss von Streiks und vor allem kirchliche Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung.

Angleichung an das weltliche Arbeitsrecht

Die Ampel-Parteien wollen mit den Kirchen prüfen, inwiefern eine Angleichung an das weltliche Arbeitsrecht erfolgen kann. Eine solche Angleichung ist schon im Gange: In dem Streikurteil vom 20. November 2012 hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt: „Danach ist die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht schließe von vorneherein die Koalitionsbetätigung der Beklagten in diakonischen Einrichtungen aus, nicht haltbar.“ Damit war die Annahme, die Rechte aus Artikel 4 und Artikel 140 Grundgesetz würden zu einer Art Supergrundrecht führen, vom Tisch.

Praktische Konkordanz ist von nun an geboten. Und seit den Entscheidungen von EuGH und BAG über den Streitfall Vera Egenberger wissen wir, dass die Kirchen nur dann besondere Anforderungen stellen können, wenn sie diese aus ihrem religiösen Ethos als wesentlich, rechtmäßig, gerechtfertigt und verhältnismäßig ableiten können. Beide Gerichte hatten 2018 entschieden, dass Kirchen und ihre Einrichtungen nicht in jedem Fall von Stellenbewerbern die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche verlangen dürfen.

Das wird den Kirchen immer schwerer fallen, denn das Leitbild der Dienstgemeinschaft ist zwar eine schöne Geschichte, die allenthalben erzählt wird: die Geschichte von der Auflösung des Interessengesetzes von Arbeitgeber und Beschäftigten, von der Konfliktlösung im Konsens. Die Realität ist eine andere. Kirchliche Arbeitgeber sind mindestens genauso häufig vor den Arbeitsgerichten vertreten wie weltliche. Beschäftigte kirchlicher Arbeitgeber verstehen ihre Tätigkeit als Erwerbsarbeit. Sie arbeiten, weil sie ihren Lebensunterhalt sichern wollen/müssen.

Dienstgemeinschaft als Phantom

Das Leitbild der Dienstgemeinschaft überzeugt nicht. Es hat seinen Ursprung als Konzept der kirchlichen Arbeitsordnung nicht in einer kirchlichen Tradition, sondern in dem Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. März 1934. Bis heute ist es nicht gelungen, dem Begriff Dienstgemeinschaft einen klaren Inhalt zu geben. Schon der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach bezeichnete die Dienstgemeinschaft als Phantom.

Trotzdem dient dieses Phantom noch immer zur Rechtfertigung kirchlicher Anforderungen - und wird von der Rechtsprechung anerkannt. Auch hält sich die These von der Verhandlungsparität in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen. Dabei liegt es auf der Hand, dass von Verhandlungsparität keine Rede sein kann, wenn die Verfahrensregeln (Arbeitsrechtsregelungsgesetze) einseitig von Arbeitgeberseite gesetzt werden - jedenfalls ohne wirksamen Einfluss der Arbeitnehmerseite.

„Einschränkung von Arbeitnehmergrundrechten“

Von dieser einseitigen Regelungsmacht haben z.B. die Diakonische Konferenz und die Ev. Kirche in Mitteldeutschland mehrfach dann Gebrauch gemacht, wenn es der Arbeitnehmerseite gelang, Verhandlungsmacht aufzubauen. Und so sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen nicht nur als Arbeitnehmer abhängig. Auch ihr Mandat und ihre Freistellung hängen an dem Wohlwollen des kirchlichen Regelungsgebers. Ganz deutlich: Es handelt sich um von Arbeitgebern finanzierte Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission.

Betriebliche Mitbestimmung dient - so das Bundesverfassungsgericht - der Verwirklichung der Grundrechte aus Artikel 1 und 2 Grundgesetz auch im Betrieb. Sowohl das evangelische Mitarbeitervertretungsgesetz als auch die katholische Mitarbeitervertretungsordnung sind weder dem Betriebsverfassungsgesetz noch den Personalvertretungsgesetzen gleichwertig. Folgt die Einschränkung der Arbeitnehmergrundrechte aus dem religiösen Ethos der Kirchen?

Es wird höchste Zeit, dass die Kirchen zumindest dort, wo sie im Wettbewerb zu anderen Anbietern stehen, uneingeschränkt dem weltlichen Arbeitsrecht unterworfen sind. Das Vorhaben der Ampel ist dazu der erste Schritt. Allerdings sollte statt mit den Kirchen vor allem mit den Beschäftigten und ihren legitimierten Vertretungen in den Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüssen und den Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund gesprochen und verhandelt werden.

Bernhard Baumann-Czichon ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bremen.


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