Lupburg (epd). Der Tod schmerzt - egal ob ein geliebter Mensch gestorben ist oder man über das eigene Ende nachdenkt. Das ist ein Grund dafür, warum der Tod noch immer ein gesellschaftliches Tabu ist. Für die Sterbeamme Karin Simon gilt das nicht. Sie sagt: „Wer begriffen hat, dass er selbst sterben wird, lebt bewusster und intensiver.“
Karin Simon ist gelernte Krankenschwester und versah viele Jahre lang pflichtbewusst ihren Dienst. Gegen Ende ihrer Berufslaufbahn allerdings mehrten sich die Zweifel an dem, was sie tat: „Mein Herz hat es nicht mehr ausgehalten, dass wir uns vor lauter Dokumentieren kaum noch um die Patienten kümmern konnten.“ Simon stellte fest, dass es im Klinikbetrieb fast mehr ums Geld ging als um das Heilen kranker Menschen. Die Pflegerin aus Lupburg, einer Gemeinde im Oberpfälzer Landkreis Neumarkt, wurde selbst krank: „Ich bekam Depressionen und Burn-out.“ Sie beschloss, ihren Beruf an den Nagel zu hängen und sich zur Sterbeamme fortzubilden.
Ihre pflegerische Ausbildung kommt ihr bei ihrem neuen Beruf als „Sterbeamme“ zugute. Die 63-Jährige klärt zum Beispiel versiert über Möglichkeiten auf, Schmerzen mit Medikamenten zu lindern. Außerdem kann sie als Krankenschwester glaubwürdig davon erzählen, wie es ist, wenn Menschen sterben - hat sie das doch Dutzende Male erlebt. Faszinierend sei, sagt Simon, dass Menschen bis zuletzt noch etwas begreifen könnten. „Es gibt Menschen, die noch im allerletzten Moment etwas bereuen - oder die sich, kurz bevor sie die Augen für immer schließen, versöhnen“, sagt die Amme.
Karin Simon ist freiberuflich tätig. Häufig würden Sterbeammen mit ehrenamtlichen Hospizbegleiterinnen verwechselt. Auch wenn die Tätigkeiten ähnlich seien, gebe es Unterschiede in der Vorbereitung auf diesen Dienst. Karin Simons Ausbildung zog sich über zwei Jahre von 2014 bis 2016 hin. 210 Unterrichtsstunden absolvierte sie in dieser Zeit. Ehrenamtliche Hospizbegleiter werden ein Jahr lang ausgebildet. In diesem Fall umfasst die Ausbildung 100 Stunden. Karin Simon erhält ein Honorar: „Das vereinbare ich mit jedem, der meine Dienste in Anspruch nimmt, individuell.“
Wer Sterbeamme oder Sterbegefährte werden möchte, kann sich deutschlandweit an acht Standorten fortbilden lassen - von Husum an der Nordsee bis Freiburg im Breisgau. Alle Standorte stehen unter der Leitung von Claudia Cardinal, Sterbeamme aus Hamburg. Die von ihr konzipierte Fortbildung ist nach einer ISO-Norm zertifiziert und wird einmal im Jahr von „Cert IQ“ Nürnberg, einer unabhängigen Prüfinstanz für Einrichtungen im Gesundheits- und Bildungswesen, überprüft. Inzwischen haben 945 Menschen die Fortbildung begonnen.
In Bezug auf das Sterben begegnet Karin Simon oft einer fast irritierenden Ahnungslosigkeit. Das sei kulturell bedingt. Früher hätten Sterben und Tod ganz normal zum Leben gehört: „Die Generationen wohnten unter einem Dach, und wenn die Oma starb, wurde sie daheim drei Tage lang aufgebahrt.“ Jeder konnte ausgiebig Abschied nehmen. Die Nachbarn kamen. Man sang gemeinsam, aß zusammen. „Wir Sterbeammen versuchen, solche Traditionen wiederzubeleben“, sagt Simon.
Gleichzeitig gibt sie zu bedenken, dass der Tod nicht immer „schön“ daherkommt. Das Sterben ihrer eigenen Mutter hat sie als furchtbar erlebt. Simons Mutter war neurologisch schwer krank: „Sie hatte sich dadurch auch in ihrem Wesen stark verändert.“ Die körperlichen Funktionen waren massiv beeinträchtigt - womit die jugendliche Karin überhaupt nicht klar kam. Sie hatte sich, gibt sie zu, vor der Mutter geekelt: „Als sie schließlich starb, saß ich mit einem Berg von Schuldgefühlen da.“ In der Folge begann sie, intensiv über das Woher und Wohin des Menschen nachzudenken.
Symbole der Leichtigkeit wie Federn und Seifenblasen gehören zur Corporate Identity ihres kleinen Unternehmens, das neben der Heilpraxis und der Sterbebegleitung auch Trauerangebote und Vortragstätigkeiten umfasst. Diese Leichtigkeit gerade auch in Krisensituationen versucht Karin Simon bei allem, was sie anbietet, zu vermitteln. Sie selbst hat sich in den vielen krisenhaften Phasen „durchs Leben geleitet“ gefühlt. „Ich habe immer wieder die richtigen Leute getroffen, die mich auf meinem suchenden Weg begleitet haben“, sagt sie.