sozial-Recht

Landessozialgericht

Nach Nadelstichverletzung: Keine Anerkennung als Berufskrankheit




Über die Folgen einer Stichverletzung durch eine Spritzennadel hatte jetzt das LSG Potsdam zu entscheiden.
epd-bild/Fabian Georgi
Beschäftigte im Gesundheitswesen können im Patientenumgang höheren Risiken für Infektionskrankheiten ausgesetzt sein. Um eine Infektion als Berufskrankheit anerkennen zu lassen, muss diese aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Arbeitsplatz verursacht worden sein, entschied das Landessozialgericht Potsdam.

Potsdam (epd). Eine im Krankenhaus erlittene Nadelstichverletzung reicht als Beleg für eine Infektion mit einem Krankenhauskeim nicht aus. Denn lag nur eine einfache Infektionsgefahr in der Klinik vor und ist eine Ansteckung im Dienst mit antibiotika-resistenten Bakterien nicht wahrscheinlich, kann keine Berufskrankheit anerkannt werden, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 10. August 2022.

Laut Berufskrankheitenverordnung können Infektionskrankheiten als Berufskrankheit anerkannt werden, „wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“. So sollen Versicherte, die beispielsweise im Krankenhaus oder in Kitas arbeiten, von einem besonderen Unfallversicherungsschutz bei Infektionskrankheiten profitieren.

Krankenschwester zog vor Gericht

Im konkreten Fall arbeitete die Klägerin, eine Krankenschwester, von 1991 bis Juni 2017 in der Notfallambulanz einer Klinik in Brandenburg. Dort versorgte sie Notfälle, nahm Patienten Blut ab und versorgte Wunden. Als sie sich im November 2016 in der Nachtschicht bei Aufräumarbeiten mit einer benutzten Spritze in den Finger stach, meldete sie das ihrem Arbeitgeber. Tests über eine mögliche Ansteckung mit Hepatitis-B und -C-Viren und auf HIV blieben negativ.

Als sie im Juni 2017 eine Hüftverletzung erlitt, wurde bei ihr eine Besiedelung mit einem MRSA-Krankenhauskeim festgestellt. Dabei handelt es sich um den Erreger Methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA). Die Bakterien sind gegen einige Antibiotika resistent. Die Krankenschwester wurde wegen der MRSA-Ansteckung stationär behandelt.

Wegen MRSA-Besiedelung Jobverbot im OP

Die Beschäftigte sah in der erlittenen Nadelstichverletzung einen Arbeitsunfall und die Ursache für ihre MRSA-Infektion. Sie sei als Krankenschwester einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt, so ihre Begründung. Sie beantragte bei der Berufsgenossenschaft die Anerkennung der MRSA-Infektion als Berufskrankheit. Wegen der MRSA-Besiedelung dürfe sie nicht mehr im OP arbeiten.

Der Arbeitgeber teilte mit, dass am Tag, an dem die Beschäftigte die Nadelstichverletzung erlitten hatte, kein MRSA-Fall in der Klink bekannt gewesen sei. Laut einer gewerbeärztlichen Stellungnahme sei es zwar im Zeitraum, in dem die Klägerin in der Notaufnahme arbeitete, zu einer Besiedelung mit MRSA gekommen. Die Ansteckung sei aber nicht beruflich, sondern privat ausgelöst worden. Denn die Beschäftigte habe wegen eines nicht beruflich bedingten Hörsturzes eine Kortisonbehandlung erhalten, bei dem das Immunsystem geschwächt worden sei.

Unfallversicherung legte sich quer

Die symptomlose Besiedelung mit MRSA-Bakterien sei zudem gar keine Krankheit und damit kein regelwidriger Körperzustand, so dass eine Anerkennung als Berufskrankheit nicht möglich sei, stellte der Unfallversicherungsträger fest.

Weitere vom Sozialgericht und LSG beauftragte Gutachter konnten ebenfalls keinen ausreichenden Zusammenhang zwischen dem Nadelstich und der Ansteckung mit den Krankenhauskeimen feststellen.

Das LSG wies die Klage der Frau ab. Für die Anerkennung als Berufskrankheit müsse „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ die Infektion bei einer versicherten Tätigkeit stattgefunden und eine „Krankheit“ verursacht haben. Da sich der Ansteckungsvorgang häufig nicht mehr feststellen lasse, könne als Beleg auch ausreichen, dass die Klägerin bei ihrer Arbeit einer „Infektionsgefahr in besonderem Maße“ ausgesetzt war. Eine abstrakte „schlichte Infektionsgefahr“ genüge für die Anerkennung als Infektionskrankheit aber nicht.

Keine „Durchseuchung des Umfeldes“

Maßgeblich hänge es von der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit ab, wie etwa zu den kontaktierten Personen, sowie von der Übertragungsgefahr, also der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen, so das LSG.

Damals sei keine Besiedelung mit dem Erreger festgestellt worden. Zwar gehöre die Klägerin als Krankenschwester bei der Anerkennung von Infektionskrankheiten als Berufskrankheit zum besonders geschützten Personenkreis. Es sei aber zweifelhaft, ob sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit bereits einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen war. Ein direkter Kontakt zu einem MRSA-Patienten sei nicht belegt worden. Es gebe auch keine belegte erhöhte Durchseuchung in der Kliniknotaufnahme im Verhältnis zur Allgemeinbevölkerung.

Hinzu komme, dass die MRSA-Infektion wahrscheinlich von der Behandlung ihres Hörsturzes herrühre. Das liege jedoch im unversicherten privaten Lebensbereich der Klägerin, urteilte das LSG.

Az.: L 3 U 144/20 (Landessozialgericht Potsdam)

Frank Leth