Berlin (epd). Mit der Vorlage des Berichts einer Expertengruppe des Europarates sind die Mängel im deutschen Gewaltschutz in den Fokus geraten. Hintergrund ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die trat in Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft. Die Konvention sieht die Überwachung der staatlichen Umsetzung des Gewaltschutzes durch eine unabhängige Expertengruppe vor, die sich nun zu Wort gemeldet hat. Ihr Bericht basiert auf den Informationen aus dem Staatenbericht, Berichten aus der Zivilgesellschaft und dem Besuch in Deutschland im September 2021 vorgelegt.
Nach Angaben von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) loben die Expertinnen Deutschland für erste Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene, den Schutz von Frauen vor Gewalt effektiv voranzubringen. „Zugleich betonen sie allerdings, dass trotz der Fortschritte weiter Handlungsbedarf besteht“, räumte die Ministerin ein. Sie forderten mehr Frauenhausplätze zu schaffen und das Beratungsangebot für von Gewalt betroffene Frauen weiter auszubauen. Dabei solle auf eine ausgeglichene geographische Verteilung geachtet werden, so der Bericht.
Außerdem sollen laut Paus die Bedürfnisse besonders verletzlicher Gruppen, wie Frauen mit Behinderungen, geflüchtete Frauen oder queere Menschen, berücksichtigt werden. Jede Frau und ihre Kinder müsse einen gesicherten Zugang zum Hilfesystem haben.
Weiter mahnt der GREVIO-Bericht (englisch für: Group of experts on action against violence against women and domestic violence) an, dass hierzulande die Verpflichtung noch nicht ausreichend umgesetzt ist, gezielte politische Maßnahmen gegen Gewalt zu beschließen. Deutschland brauche eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene und die Entwicklung einer langfristigen Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Paus kündigte an, den Anregungen Taten folgen zu lassen: „Wir werden daher das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern. Wir haben vereinbart, auf Bundesebene einen Rechtsrahmen für die verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern zu schaffen.“ Zudem werde Regierung eine Koordinierungsstelle einrichten, die eine ressortübergreifende Strategie zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen erarbeitet. „Außerdem wird mein Ministerium noch in diesem Jahr eine unabhängige Beobachtungsstelle schaffen“, so die Ministerin.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack forderte am 7. Oktober in Berlin einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und Hilfe für alle Opfer von häuslicher Gewalt. „Das Hilfesystem muss für alle greifen, unabhängig von Geschlecht, von sexueller Orientierung, Aufenthaltsstatus, Herkunftsort oder gesundheitlicher Einschränkung“, so die Gewerkschafterin. Dafür müssten bundesweit verbindliche Regelungen getroffen werden, die ein bedarfsgerechtes Unterstützungsangebot sicherstellen.
Sie rügte außerdem, dass seit Jahren eigenständige gesetzliche Regelungen für die Einrichtung von Gewaltschutzambulanzen und für bindende Mindeststandards für Länder und Kommunen überfällig seien. „Ebenso braucht es Regelungen, um den Lebensunterhalt für von Gewalt betroffene Menschen für die Zeit ihrer Unterbringung in einer Schutzeinrichtung sicherzustellen, und zwar unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.“
„Auch fünf Jahre nach Inkrafttreten der Istanbul-Konvention finden gewaltbetroffene Frauen nicht verlässlich Schutz in Deutschland“, urteilte der Deutsche Frauenrat. Die Bundesregierung müsse das Gutachten zum Anlass nehmen, ihre Anstrengungen für einen flächendeckenden Zugang zu Schutzräumen zu verstärken. „Gewaltfreiheit braucht ein starkes Fundament aus Institutionen, Ressourcen und politischer Strategie für Gewaltprävention,“ sagte Geschäftsführerin Anja Nordmann.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte, die Frauenhäuser institutionell abzusichern und die Versorgung flächendeckend ausbauen. Im Paritätischen sind 130 Frauenhäuser und 190 Frauenberatungsstellen Mitglied.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, verwies auf regionale Versorgungslücken. "Es kann nicht sein, dass es von der Wohnregion abhängt, ob man sich vor einem prügelnden Partner schützen kann.” Schneider warb dafür, den Bericht der Experten sehr ernst zu nehmen und eine gesetzlich verbindliche Finanzierung für Frauenhäuser zu garantieren und die Versorgung auszubauen.