sozial-Recht

Europäischer Gerichtshof

Urlaubsansprüche verfallen nicht zwingend nach drei Jahren




Urlauber mit Sonnenschirm am Strand von Secchio auf Elba
epd-bild/Gustavo Alabiso
Arbeitnehmer müssen auch nach drei Jahren nicht automatisch auf angesammelte Urlaubsansprüche verzichten. Hat der Arbeitgeber den Urlaub nicht rechtzeitig ermöglicht und auf einen drohenden Verfall hingewiesen, verjährt der Anspruch nicht nach der allgemeinen Verjährungsfrist, urteilte der Europäische Gerichtshof.

Luxemburg (epd). Ohne eine rechtzeitige Aufklärung über ausstehende Urlaubsansprüche können Beschäftigte diese auch nach über drei Jahren einfordern. Denn hat der Arbeitgeber seine Mitarbeiter während des Arbeitsverhältnisses nicht zum Urlaubnehmen aufgefordert oder auf einen möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen hingewiesen, kann er sich nicht auf die allgemeine gesetzliche Verjährungsfrist von drei Kalenderjahren berufen, urteilte am 22. September der Europäische Gerichtshof.

Haben die Unternehmen während des laufenden Urlaubsjahres das auch nicht bei lang andauernd erkrankten Beschäftigten oder bei Mitarbeitern getan, die im Laufe des Jahres voll erwerbsgemindert wurden, ist der in dieser Zeit erworbene Urlaubsanspruch auch nicht verfallen, urteilten die Luxemburger Richter in zwei weiteren Fällen.

In der Regel verfällt Urlaub nach maximal 15 Monaten

Nach dem Bundesurlaubsgesetz muss der bezahlte Urlaub regelmäßig im laufenden Urlaubsjahr genommen werden. Aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen oder vorbehaltlich anderer tariflicher Regelungen kann der Resturlaub aber auch bis Ende März des Folgejahres in Anspruch genommen werden. Danach ist der Verfall des nicht genommenen Urlaubs vorgesehen. Bei einer besonders langen Arbeitsunfähigkeit entfällt der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ausnahmsweise erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres.

Nach einer Grundsatzentscheidung des EuGH vom 6. November 2018 müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass ihr Personal rechtzeitig zustehenden Urlaub auch nehmen kann. Über den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen müsse der Arbeitgeber informieren. Gab es darüber keine Aufklärung und hat das Arbeitsverhältnis geendet, bestehe Anspruch auf finanzielle Urlaubsabgeltung, so das Gericht.

Finanziellen Ausgleich gefordert

In den beiden damals entschiedenen Fällen ging es um einen früheren Rechtsreferendar in Berlin und einen befristet angestellten Max-Planck-Wissenschaftler. Der Rechtsreferendar hatte in den letzten Monaten keinen Urlaub mehr genommen. Nach Ende des Referendariats beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Der Forscher hatte trotz Aufforderung des Arbeitgebers, seinen Urlaub zu nehmen, diesen weitgehend nicht genommen. Er verlangte schließlich die Bezahlung seiner offenen Urlaubstage.

Der EuGH urteilte, dass ein Urlaub nicht automatisch verfallen darf, wenn ein Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat. Der Urlaubsanspruch für den Beschäftigten könne erst verfallen, wenn der Arbeitgeber darauf rechtzeitig hingewiesen hat. Der Mitarbeiter müsse die Möglichkeit haben, den noch offenen Urlaub zu nehmen.

Urlaub dient dem Zweck der Erholung

Gleichzeitig verwiesen die Luxemburger Richter auch auf den Erholungszweck des Urlaubs. Ein Arbeitnehmer könne bei Beschäftigungsende seinen Arbeitgeber daher nicht zu Geldzahlungen zwingen, indem er trotz Aufforderung einfach keinen Urlaub nimmt.

Diese Grundsätze gelten auch bei noch offenen Urlaubsansprüchen als Folge lang andauernder Krankheit oder nach Eintritt von Erwerbsunfähigkeit, urteilte der EuGH in den zwei aktuellen Fällen. Damit können sich ein schwerbehinderter Fraport-Mitarbeiter, der Ende 2014 voll erwerbsunfähig wurde, und eine lang erkrankte Klinik-Mitarbeiterin Hoffnung auf Abgeltung von ausstehenden Urlaubsansprüche machen. In beiden Fällen hatte der Arbeitgeber sie nicht rechtzeitig über noch offene Urlaubstage informiert.

Der EuGH urteilte, dass zwar bei langer Erkrankung oder bei Eintritt von Erwerbsunfähigkeit die im Urlaubsjahr erworbenen Urlaubsansprüche nach 15 Monaten regelmäßig verfallen. Die Frist gelte aber nicht, wenn der Arbeitgeber nicht rechtzeitig zum Urlaubnehmen aufgefordert hat.

Aufforderung zum Urlaubnehmen von zentraler Bedeutung

Der Arbeitgeber könne sich dann auch nicht auf die im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen allgemeinen Verjährungsfristen von drei Kalenderjahren berufen, urteilte ebenfalls am 22. September der EuGH.

Im Streitfall ging es um eine Steuerfachangestellte, die von November 1996 bis einschließlich Juli 2017 in einer Kanzlei arbeitete. Ihr Urlaubsanspruch betrug pro Kalenderjahr 24 Tage. Anfang März 2012 hatte ihr Arbeitgeber ihr noch wegen des hohen Arbeitsaufwandes bescheinigt, dass ihr Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Jahr 2011 und den Vorjahren nicht verfallen sei. Als sich bis Beschäftigungsende 101 offene Urlaubstage ansammelten hatten, verlangte die Frau schließlich Geld für den nicht genommenen Urlaub.

Der Arbeitgeber hielt die Ansprüche großteils für verjährt. Es würden die allgemeinen Verjährungsfristen von drei Kalenderjahren gelten, lautete die Argumentation.

Unklar bleibt, wie lange Ansprüche geltend gemacht werden können

Die Luxemburger Richter gaben der Klägerin jedoch dem Grunde nach recht. Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert zu werden, die länger als drei Jahre zurückliegen.

Dies gelte aber nicht, wenn der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall die Mitarbeiterin während des Beschäftigungsverhältnisses nicht zum Urlaub aufgefordert oder über den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen informiert hat. Damit habe es der Arbeitgeber zu verantworten, dass der Urlaub nicht genommen wurde. Von der dreijährigen Verjährungsfrist könne er dann nicht profitieren. Wie lange Ansprüche geltend gemacht werden können, hatte der EuGH nicht zu entscheiden.

Das BAG will über die Fälle zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei lang andauernder Erkrankung und Erwerbsminderung sowie über die Verjährung am 20. Dezember abschließend entscheiden.

Az.: C-120/21 (EuGH, Verjährung)

Az.: C-518/20 und C-727/20 (EuGH, Verfall Urlaubsansprüche)

Az.: C-619/16 und C-684/16 (EuGH, Informationspflichten)

Frank Leth