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Kinder

Kleine Menschen, große Fragen




Blick auf einen Ausschnitt des neuen Internetportals
epd-bild/www.kleine-menschen-grosse-fragen.de
Religiöse Feiertage, Tod oder Schöpfung: Bereits Kleinkinder machen sich Gedanken über Gott und die Welt. Ein bundesweit einmaliges Filmprojekt soll pädagogischen Fachkräften im Kita-Alltag helfen, angemessen auf religiöse Themen der Kleinsten einzugehen.

Stuttgart, Tübingen (epd). Ein toter Vogel liegt im Garten einer Kita auf dem Boden. Die Kinder beugen sich über ihn - und sofort beginnt das religiöse Philosophieren: „Der Vogel ist tot. Ganz tot. So wie meine Oma, die haben wir dann begraben“, sagt ein Mädchen. „Ich dachte, wenn man tot ist, kommt man in den Himmel“, ergänzt ein Junge. Das fiktive Gespräch stammt aus der Videosequenz eines Filmprojekts, das ab sofort unter „www.kleine-menschen-grosse-fragen.de“ online zugänglich ist. Das Filmprojekt will Erzieherinnen und Erzieher in der Ausbildung und ihrem beruflichen Alltag ermutigen, Kita-Kinder mit ihren religiösen Ideen und Fragen wie zum Beispiel über den toten Vogel ernst zu nehmen.

„Kinder haben ein Recht auf Religion“, sagt Ulrich Heckel. Der Leiter des Dezernats „Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche“ im Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Stuttgart) hat das Film-Projekt gemeinsam mit dem emeritierten katholischen Professor für Religionspädagogik, Albert Biesinger, und dessen evangelischen Kollegen Friedrich Schweitzer (beide Tübingen) initiiert. Das Projekt sei im deutschsprachigen Bereich einmalig und soll pädagogische Fachkräfte in der Ausbildung und im Berufsalltag religiös und interreligiös sprachfähig machen, erläutert der Theologe.

Internet bietet über 30 Videos an

Auf der Internetseite sind insgesamt mehr als 30 unterschiedliche Videoclips zu finden: Kurzfilme zum Einstieg in das Thema sind aufrufbar. Erklärvideos bieten Hintergrundwissen zu Stichworten wie Religionsfreiheit, das Recht von Kindern auf Religion oder „Beten in der Kita“. Kurze Spielfilmsequenzen, die von Filmemacher Johannes Rosenstein geschrieben und mit professionellen Schauspielern umgesetzt wurden, zeigen Situationen aus dem WG-Leben von drei angehenden jungen Erzieherinnen und einem Erzieher, die beim Nudelkochen, im Park oder auf dem Sofa über religiöse Fragen in ihrem Kita-Alltag diskutieren.

So hat die 23-jährige Lea in einer Sequenz die Aufgabe, einen Morgenkreis in ihrer Kita vorzubereiten. Dass zu dem Morgenritual auch ein Gebet gehören soll, widerstrebt ihr. „Warum soll ich mit Kindern christliche Lieder singen und beten, wenn ich selbst nicht bete?“ will sie wissen und wendet sich an ihre WG-Kollegin mit der Frage, was sie als Muslimin von christlichen Liedern im Morgenkreis hält.

Die Filmsequenzen, die jeweils eine Frage aufwerfen, beispielsweise wie viel Raum Religion in Kitas gegeben werden sollte, werden ergänzt durch passende Expertengespräche. Videos, in denen Studierende selbst zu Wort kommen und sich ihre eigenen Gedanken machen, runden die Themen ab.

Seit 2018 wurde am Konzept gefeilt

Über fünf Jahre hinweg, seit 2018, hat ein 13-köpfiges Team bestehend aus Expertinnen und Experten der Religionspädagogik sowie der christlichen, jüdischen und islamischen Theologie, Kita-Verbänden und Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher am Konzept und der Entstehung der Filme mitgearbeitet. Das Filmprojekt wurde mit insgesamt 500.000 Euro von der Evangelischen Landeskirche und der Diözese Rottenburg-Stuttgart finanziert. Dabei flossen 400.000 Euro in die Produktion der Filme. 100.000 Euro ging an die „Stiftung Gottesbeziehung in Familien“, die didaktische Begleitmaterialien zu den Videoclips entwickelt und Multiplikatoren in Fortbildungen schulen wird.

Laut Albert Biesinger zeigten Studien, dass es bei dem Personal in konfessionellen Kitas große Ratlosigkeit gebe, wie religiöse Bildung aussehen könne, wenn ein Großteil der Kinder einer Kita konfessionslos oder muslimisch sind. Bei nicht konfessionellen Kitas finde sogar kaum noch religiöse Bildung statt. Doch dies könne in einer multireligiösen Welt nicht die Lösung sein, religiöse Bildung sei Auftrag aller Kitas: „Vorurteilsbildung beginnt schon früh, wir müssen konstruktiv mit religiöser Vielfalt umgehen“, sagt der Religionspädagoge. Das Filmprojekt setze genau hier an und wolle pädagogischen Fachkräften interreligiöse Kompetenz vermitteln und die Themen in die Ausbildungsschulen und Einrichtungen hineintragen.

Und wie geht es mit dem toten Vogel aus der Filmsequenz weiter? Er wird auf Anregung der Kinder in einer Schachtel im Garten begraben. Die Erzieherin zündet eine Kerze an, zwei Kinder bitten Gott in einem spontanen Gebet, auf den Vogel nun im Himmel aufzupassen. Die Frage, ob der Vogel im Himmel mit anderen Tieren spielt, kann die Erzieherin nicht beantworten. Aber die Kinder sind trotzdem zufrieden.

Judith Kubitscheck