sozial-Branche

Betreuung

Gastbeitrag

Senioren-Assistenz bundesweit voranbringen




Carolin Favretto
epd-bild/Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland
Die meisten Senioren wollen in ihren eigenen vier Wänden alt werden. Senioren-Assistentinnen können die Lücke zwischen Pflege und Hauswirtschaft füllen. Doch es gibt zu wenige von ihnen, wie Carolin Favretto, Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland, in ihrem Gastbeitrag beschreibt.

Für die Mehrheit aller Seniorinnen und Senioren ist die eigene Wohnung der Ort, an dem sie - mit oder ohne Pflegebedarf - ihren Lebensabend verbringen möchten. Senioren-Assistenten sorgen dafür, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung bleiben können und schließen so die Lücke zwischen Pflege und Hauswirtschaft.

Senioren-Assistentin? Was ist das denn? Noch immer ist dieses Berufsbild vielen Menschen unbekannt, die Weiterbildung zur zertifizierten Senioren-Assistenz vielen kein Begriff. In den meisten Köpfen ist die Betreuung von älteren Menschen allein mit ehrenamtlicher Tätigkeit verbunden.

Familienstrukturen haben sich gewandelt

Doch den umsorgenden Familien- und Nachbarschaftsverbund wie in früheren Zeiten gibt es in Ballungszentren und größeren Städten nicht mehr. Oft sind die Kinder weggezogen - und Nachbarn mit sich selbst beschäftigt. Und so bleiben Vater und Mutter allein in den eigenen vier Wänden zurück und fragen oft nicht nach Unterstützung, weil sie niemandem zur Last fallen wollen. Vielen fehlt nicht selten die Kraft, aus eigenem Antrieb ihrem Einsamkeitsgefühl zu entkommen. Sie verwehren sich - meist aus Schamgefühl - dem natürlichen Bedürfnis nach Zuwendung und mitmenschlicher Nähe.

Qualifizierte Senioren-Assistentinnen und -Assistenten sind es, die - im Unterschied zu den Pflege- und Haushaltsdiensten - die so wichtige individuelle Zuwendung bieten und damit erheblich zu persönlichem Wohlbefinden und Lebensqualität beitragen.

Berufsorganisation überwacht Ethik- und Qualitätsstandard

Seit 2012 ist mit der Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland (BdSAD) eine eigenständige Berufsorganisation hinzugekommen, die unter anderem auf die Einhaltung anspruchsvoller Ethik- und Qualitätsstandards sowie auf eine kontinuierliche fachliche Weiterbildung ihrer Mitglieder achtet.

Die BdSAD ist ursprünglich von Senioren-Assistentinnen gegründet worden, die ihre Qualifizierung nach dem „Plöner Modell“ absolviert haben. Die Büchmann/Seminare KG ist bundesweit der einzige Anbieter für die Weiterbildung nach diesem Modell, das umfassend auf die spezifische Tätigkeit vorbereitet. Über 2.000 Frauen und Männer haben sich in den zurückliegenden 16 Jahren auf diesem hohen Qualitätsstandard schulen lassen. Die Weiterbildung kombiniert die fachliche Schulung mit Existenzgründungstraining, die Netzwerkbildung mit dem fachlichen Austausch unter Kollegen sowie die Präsentation im hauseigenen Vermittlungsportal und Weiterbildungstreffen ohne weitere Kosten.

Selbstständige Dienstleister

Senioren-Assistentinnen arbeiten als selbstständige Dienstleister, deren Tätigkeit sehr abwechslungsreich ist. Gemeinsame Spaziergänge mit Gedächtnistraining gehören ebenso dazu wie Einkäufe, Begleitung zu Ärzten und Behörden, Hilfe bei Fragen zur gesunden Ernährung oder Informationen zum Schutz vor kriminellen Machenschaften wie dem Enkeltrick. Was diese Fachkräfte von ehrenamtlichen Mitarbeitern oder Nachbarschaftshilfe außerdem unterscheidet, ist ihre fundierte Schulung in allen Fragen der Pflegeversicherung. Sie wissen, wie soziale Ansprüche geltend gemacht werden können und welche komplexen Aufgaben bei der Einstufung in einen Pflegegrad zu bewältigen sind.

Senioren-Assistenz per se ist eine Dienstleistung, die privat bezahlt wird - entweder vom Senior selbst, aber häufig auch von den Angehörigen, die Entlastung von außen benötigen. Bei Menschen, die einen Pflegegrad haben, können Leistungen der Pflegeversicherung zur Refinanzierung herangezogen werden.

Dazu gibt es grundsätzlich vier „Töpfe“:

1. Pflegegeld ab Pflegegrad 2: Das Pflegegeld dient etwa dazu, sich Unterstützungsleistungen „einzukaufen“, die nicht durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht werden.

2. Verhinderungspflege ab Pflegegrad 2: Wenn es eine Person aus dem privaten Umfeld des zu Pflegenden gibt, die sich um die Versorgung des Pflegebedürftigen kümmert und diese Person aus privaten Gründen verhindert ist, kann die sogenannte Verhinderungspflege in Anspruch genommen werden. Dabei handelt es sich um einen Betrag von rund 1.700 € pro Jahr. Senioren-Assistenten können aus diesem Topf bezahlt werden.

3. Kurzzeitpflege ab Pflegegrad 2: Kann ein Pflegebedürftiger übergangsweise nicht zu Hause versorgt werden, kann er zur Kurzzeitpflege in ein Pflegeheim gehen. Sofern ein Pflegebedürftiger diese Leistung nicht in Anspruch nehmen möchte, kann vom verfügbaren Gesamtbudget für die Kurzzeitpflege ein Betrag in Höhe von 806 Euro in Verhinderungspflege gewandelt werden. Auch davon können Senioren-Assistenten bezahlt werden.

4. Entlastungsbetrag ab Pflegegrad 1: Nach Landesrecht anerkannte Senioren-Assistenten können die sogenannten Alltagsentlastungsleistungen nach § 45a/b SGB XI abrechnen. Es handelt sich um monatlich 125 Euro, die kumuliert werden können und spätestens am 30. Juni des Folgejahres verfallen. Außerdem ermöglicht es die landesrechtliche Anerkennung, 40 Prozent der sogenannten Pflegesachleistungen ebenfalls für die Entlastung im Alltag zu verwenden.

Während die ersten drei „Töpfe“ bundesweit von allen Senioren-Assistenten zur Refinanzierung ihrer Dienstleistung verwendet werden können, gibt es bei der Verwendung des Entlastungsbetrages nach Landesrecht unterschiedliche Anerkennungshürden. Es geht um 16 unterschiedliche Alltagsverordnungen, mit denen die Anerkennungsvoraussetzungen für Senioren-Assistenten geregelt sind.

Unterschiedliche Regelungen bei der Qualifizierung

Wer sich in Schleswig-Holstein für die begleitende Alltagsunterstützung von Senioren und Menschen mit Unterstützungsbedarf entscheidet, braucht eine Minimalschulung von 120 Stunden. Anders in Nordrhein-Westfalen: Dort darf eine Senioren-Assistentin schon nach 40 Stunden Schulung ihren ersten Kundentermin wahrnehmen. Während NRW und Schleswig-Holstein in ihren jeweiligen Landesverordnungen Senioren-Assistenten als selbstständige Dienstleister anerkennen, ticken in Bayern die Uhren anders.

Im Süden werden zertifizierte Senioren-Assistenten nur anerkannt, wenn sie eine Kooperation mit mindestens zwei Senioren-Assistenten eingehen." Das kritisieren wir. Denn wir brauchen wir gerade in Süddeutschland mehr qualifizierte Alltagsbegleiterinnen, da der Bedarf sehr hoch ist. Es gibt hinter verschlossenen Türen so viel Not und Einsamkeit. Das deutsche System geht zu Lasten älterer Menschen, die Alltagsunterstützung brauchen und sie nicht bekommen dürfen.

Wir werben für die Chancengleichheit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, denn nur mit landesrechtlichen Anerkennung können selbständige Senioren-Assistenten die Pflegesachleistungen anteilig in eine Entlastungsleistung umwandeln und mit der zuständigen Pflegekasse abrechnen. Das bedeutet: Pflegende Angehörige, Nachbarn oder Freunde können die gewünschte und oftmals notwendige Entlastung nicht finanzieren, weil von ihnen beauftragte qualifizierte Senioren-Assistent:innen die Gelder für die erbrachte Leistung nicht abrufen dürfen. So wird der Wunsch nach mehr Lebensqualität verhindert. Professionelle Hilfe jenseits von körperlicher Pflege und hauswirtschaftlicher Unterstützung ist nicht möglich, obwohl Senioren-Assistenten diese überaus wichtige Betreuungslücke schließen.

Carolin Favretto ist die Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland.