sozial-Politik

Tschechien

Schuldenberge erdrücken Minderjährige



In Tschechien stehen 2.000 Minderjährige in der Kreide. Wenn sie als Kind die Schulden ihrer verstorbenen Eltern geerbt haben, kommen sie kaum noch raus aus der Schuldenfalle. Ein aktuelles Gerichtsurteil könnte diese absurde Praxis ändern.

Prag (epd). Dass ihr Leben einmal normal werden würde, hatte die 31-jährige Jana Cizkova schon nicht mehr gehofft. 800.000 Euro Schulden lasteten auf ihr, die sie als Kind von ihrem Vater geerbt hatte und die sie in ihrem Leben wohl nie würde zurückzahlen können. „Ich habe aufgehört zu kämpfen“, sagte sie vor tschechischen Journalisten, „ich suche mir eine Arbeit, in der ich Menschen helfen kann. Um Geld geht es mir nicht, sowieso bleibt mir nur ein Minimum davon übrig.“

Hunderttausende in der Überschuldungsfalle

Die Geschichte der jungen Tschechin steht beispielhaft für das Problem mit der Überschuldung, das viele Tschechen plagt: Wegen einer Gesetzgebung, die lange Zeit nicht einmal eine Privatinsolvenz ermöglichte, und einer schwachen Regulierung von Wucherzinsen dubioser Geldverleiher gerieten viele hunderttausend Tschechen in die Überschuldungsfalle.

Welch absurde Ausmaße dies hat, zeigt sich auch am Beispiel von Jana Cizkova: Als sie elf Jahre alt war, starb ihr Vater. Ihre Mutter als Sorgeberechtigte nahm im Namen ihrer minderjährigen Tochter das Erbe an - und wie sich erst danach zeigte, hatte der Vater rund 800.000 Euro Schulden aus einer Firmengründung.

Nach ihrem Abitur studierte die junge Frau Psychologie, sie bekam zwei Kinder - aber alles Geld, das sie bei Studentenjobs und später bei ihrer Festanstellung verdiente, ging in die Tilgung der Schulden, die wegen Zinsen, Strafgebühren und überhöhten Verwaltungsgebühren immer weiter stiegen.

Jetzt brachte ein Urteil eine Wende: Ein Gericht stoppte die Vollstreckung. Die Prager Wirtschaftszeitung Hospodarske Noviny berichtet seit Jahren über den Fall der jungen Mutter. Experten gehen davon aus, dass jetzt nach dem Urteil tausende Schuldner, die als Minderjährige in die Überschuldung geraten sind, wieder Hoffnung schöpfen können.

Jahrzehntelang in der Kreide

Das „Institut zur Lösung der Überschuldung“, das aus einer Prager Bürgerinitiative hervorgegangen ist, rüttelt regelmäßig mit aktuellen Statistiken auf. Im 10-Millionen-Einwohner-Land Tschechien laufen demzufolge 4,4 Millionen Zwangsvollstreckungen; betroffen sind fast 700.000 Personen.

2.000 der Überschuldeten sind minderjährig - und nochmal deutlich mehr sind zwar inzwischen volljährig, schleppen aber noch Probleme aus der Kindheit und Jugend mit sich herum.

Viele drücken die hohen Schulden schon seit Jahrzehnten. Weil es in Tschechien lange Zeit kein Gesetz gegen Wucher gab, wurde früher aus einer vergessenen Stromrechnung mit Mahngebühren, Zinsen und nach oben offenen Kosten für private Vollstreckungs-Unternehmen schnell eine existenzgefährdende Last. Seit einigen Jahren gibt es inzwischen die Möglichkeit, eine Privatinsolvenz anzumelden - aber zu deutlich strengeren Regeln als in anderen europäischen Ländern. Zwischen drei und fünf Jahre dauert ein solcher Prozess, an dessen Ende ein Gerichtsurteil steht.

Aus eigener Kraft aus der Misere

Hält das Gericht die Bemühungen des Schuldners aus den vergangenen Jahren nicht für hinreichend, kann es die Entschuldung ablehnen. Derzeit laufen in Tschechien rund 110.000 Insolvenzverfahren von Privatpersonen; betroffen sind damit rund ein Prozent aller Tschechen.

Eine weitere Initiative erlebt gerade ihre zweite Auflage: Milostive leto heißt sie, „Erlassjahr“. Sie betrifft jene Schuldner, die bei öffentlichen Einrichtungen im Minus sind: bei der Krankenversicherung, mit Strafen fürs Schwarzfahren, bei Müllentsorgungs- oder Rundfunkgebühren. Auch hier hat sich oftmals aus einer anfangs überschaubaren Summe nach einigen Jahren ein gewaltiger Schuldenberg entwickelt, der bisweilen ein Vielfaches des Ausgangsbetrags ausmacht.

Die öffentlichen Gläubiger bieten an, die Schuld innerhalb von drei Monaten zu begleichen. Wer das Angebot annimmt, bezahlt lediglich den ursprünglich geschuldeten Betrag zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr, und ist seine Schulden danach los. 15.000 Tschechen konnten sich dadurch im ersten Jahrgang aus eigener Kraft entschulden.

Kilian Kirchgeßner