Erfurt (epd). Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen dürfen werktags nicht generell einen Nachtarbeitszuschlag von 20 Prozent vorsehen. Geht eine in einer stationären Wohneinrichtung für schwerbehinderte Menschen angestellte Krankenschwester dort einer Dauernachtwache nach, hat sie Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 Prozent, bekräftigte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt in einem am 18. August veröffentlichten Urteil seine bisherige Rechtsprechung. Ob der höhere Zuschlag im Streitfall tatsächlich angemessen ist oder andere Gründe vorliegen, die einen geringeren Anspruch rechtfertigen, soll nun das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln noch einmal prüfen.
Die Klägerin ist in der Einrichtung seit Juli 2003 als „Mitarbeiterin im Betreuungsdienst (Nachtwache) mit der Qualifikation Krankenschwester“ tätig. Laut Arbeitsvertrag erhält sie für ihre Dauernachtschicht werktags einen Nachtarbeitszuschlag von 20 Prozent. Für Sonntagsarbeit gibt es 25 Prozent und für Nachtdienste an gesetzlichen Feiertagen 35 Prozent. Eine tarifvertragliche Regelung zur Nachtarbeitsvergütung gibt es in der Einrichtung nicht. Eine Betriebsvereinbarung legt den 20-Prozent-Zuschlag noch einmal fest.
Doch diese Vergütung hielt die Beschäftigte nicht für „angemessen“. Für ihre belastende Dauernachtarbeit müsse sie einen 30-prozentigen Zuschlag erhalten. Sie verlangte für 280 Nachtarbeitsstunden, die sie von September bis November 2016 geleistet hatte, eine Lohnnachzahlung in Höhe von 464,80 Euro.
Der Arbeitgeber lehnte ab. Die Nachtarbeitszeit gehe mit „Zeiten minderer Beanspruchung“ einher. Außerdem, so der Einrichtungsbetreiber, sei er gesetzlich verpflichtet, dass nachts stets ein Beschäftigter für die behinderten Menschen da ist.
Doch es sei durchaus möglich, dass die Klägerin Anspruch auf einen Zuschlag für ihre Dauernachtarbeit in Höhe von 30 Prozent hat, entschied das BAG. Dies müsse das LAG noch einmal prüfen. Das Arbeitszeitgesetz sehe vor, dass Nachtarbeitnehmer einen „angemessenen Zuschlag oder eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage“ erhalten, „soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichszahlungen bestehen“. Die Tarifvertragsparteien sind danach grundsätzlich frei, eigene Vergütungsregelungen zu treffen. Als Nachtarbeit gilt laut Gesetz die Arbeit zwischen 23 und 6 Uhr (Bäckereien 22 bis 5 Uhr).
Greife - so wie hier - kein Tarifvertrag, bestehe nach ständiger Rechtsprechung für eine Dauernachtarbeit „regelmäßig“ ein Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 Prozent. Bei gelegentlicher Nachtarbeit betrage der Zuschlag in der Regel 25 Prozent, so das BAG mit Verweis auf ein Urteil vom 9. Dezember 2015 im Fall eines Paketauslieferers. Abweichungen nach oben und unten seien je nach Besonderheit der konkreten Tätigkeit möglich. So komme ein geringerer Zuschlag in Betracht, wenn nachts Bereitschaftsdienste anfallen und damit eine „spürbar geringere Arbeitsbelastung besteht“.
Mit den Nachtarbeitszuschlägen solle der Arbeitgeber dahin „gelenkt“ werden, die für die Beschäftigten gesundheitsschädliche Nachtarbeit zu vermeiden. Sei die Nachtarbeit gesetzlich vorgeschrieben und sei diese aus „überragenden Gründen des Gemeinwohls“ zwingend erforderlich, könne der Zuschlag auch geringer ausfallen, urteilte das BAG am 15. Juli 2020 im Fall einer Altenheim-Pflegekraft. Denn wegen der vorgeschriebenen Nachtarbeit könne der Arbeitgeber nicht mit höheren Nachtarbeitszuschlägen dahin gelenkt werden, die Nachtarbeit zu vermeiden. Angemessen sei dann ein Zuschlag von 20 Prozent statt 25 Prozent.
Im aktuell entschiedenen Rechtsstreit bekräftigten die Erfurter Richter, dass bei einer Dauernachtarbeit Arbeitgeber nicht so leicht einen höheren Zuschlag vermeiden können. Hier sehe der Arbeitsvertrag der klagenden Mitarbeiterin im Betreuungsdienst der Schwerbehinderteneinrichtung sowie eine Betriebsvereinbarung für die werktägliche Dauernachtarbeit nur einen Anspruch auf einen Zuschlag in Höhe von 20 Prozent vor. Eine Regelung, „die zum Nachteil der Arbeitnehmer hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt“, sei aber unwirksam, betonte das BAG.
Zu Recht habe das LAG angenommen, dass für die geleistete Dauernachtarbeit grundsätzlich ein Regelzuschlag von 30 Prozent fällig werde. Das Gericht müsse aber noch prüfen, ob tatsächlich eine Senkung des Zuschlags wegen weniger belastenden Bereitschaftstätigkeiten während der Nachtarbeit angefallen sind, die wiederum eine geringere Vergütung rechtfertigen könnten.
Dagegen spreche der Vortrag der Klägerin, dass diese alle 30 Minuten einen zehnminütigen Kontrollgang in der Einrichtung machen musste, etwa um Bewohner mit „Weglauftendenz“ zu kontrollieren. Längere Entspannungsphasen seien dann ausgeschlossen, so dass deshalb eine Minderung des Zuschlags für die Dauernachtarbeit nicht gerechtfertigt wäre.
Der Arbeitgeber habe zudem auf die gesetzliche Pflicht verwiesen, dass nachts immer ein Mitarbeiter in der Einrichtung anwesend sein muss und daher der Zuschlag geringer ausfallen müsse. Zumindest die individuelle Dauernachtarbeit der Klägerin sei aber vermeidbar gewesen, befand das BAG. Denn der Arbeitgeber könne die besonders belastende Dauernachtarbeit auch mit Wechselschichtmodellen verhindern. Dies müsse die Vorinstanz ebenfalls noch einmal klären.
Az.: 10 AZR 230/19 (BAG, 30-Prozent-Zuschlag)
Az.: 10 AZR 423/14 (BAG, Paketauslieferer)
Az.: 10 AZR 123/19 (BAG, Pflegekraft im Altenheim)