Nürnberg (epd). Rund drei Stunden pro Woche investiert Studentin Lara in ihr Ehrenamt. Dabei geht sie nicht zum Fußball oder plant eine Semesterfete, sondern sie begleitet Jugendliche mit Suizidgedanken. „Wenn man einen intensiven Kontakt hat und sieht: Der Person geht es mit der Zeit besser, ist das ein tolles Gefühl. Und gleichzeitig lerne ich, auf mich selbst zu achten und mich im Alltag auch mal rauszunehmen“, sagt die junge Frau. Eine Bekannte von ihr arbeitete bereits für U25, so ist Lara auf das Angebot aufmerksam geworden.
Der Onlineberatungsdienst U25 richtet sich an junge Menschen unter 25 Jahren und sucht sie dort auf, wo sie in ihrer Freizeit viel unterwegs sind: im Internet. Gleichzeitig kommen für die Beratung Gleichaltrige - die Peers - zum Einsatz. „Jugendliche untereinander haben eine andere Sprache. Sie geben sich Rückmeldungen auf Augenhöhe“, sagt die Sozialpädagogin Isabelle Dulleck, die die Arbeit der Ehrenamtlichen fachlich begleitet. „Viele Jugendliche sagen, dass sie genau das gesucht haben: Jemanden, der versteht, wie es ihnen geht und noch ganz nah dran ist an den schwierigen Aufgaben, die Jugendliche oft haben.“
2001 entstand in Freiburg die Idee, eine Suizidprävention für Jugendliche durch Peers anzubieten. Mittlerweile gibt es das Angebot der Caritas an elf Standorten in Deutschland. An einem der Standorte zu wohnen, ist keine Voraussetzung dafür, das Angebot von U25 nutzen zu können. Über das Webportal können sich Ratsuchende von jedem Ort aus kostenlos und anonymisiert registrieren und dann eine Mail verfassen, in der sie ihre Situation beschreiben. Diese Mail geht zunächst an die Teamleitung und wird dann einem der 38 Ehrenamtlichen im Raum Nürnberg zugeteilt. Die Peers beraten maximal drei Personen gleichzeitig. Da die Nachfrage so hoch ist, steht nur zu einem Viertel der Zeit die Anmeldeampel der Webseite auf „grün“. Wenn niemand frei ist, bekommen Ratsuchende Hinweise auf alternative Hilfsangebote.
„Es ist nicht so, dass wir Randgruppen betreuen“, sagt die Ehrenamtliche Mia, „denn bei Jugendlichen kommen Suizidgedanken ziemlich häufig vor. Es ist inzwischen die häufigste Todesursache, noch vor Verkehrsunfällen.“ Dennoch werde das Thema von der Gesellschaft stark tabuisiert, sagt sie. „Ich fühle mich super gut, wenn sich jemand traut, das anzusprechen und wenn dieser Person unser Angebot hilft.“ Die Ehrenamtlichen werden in ihren Beratungen mit jungen Menschen in Extremsituationen konfrontiert - das kann auch mal an die Substanz gehen. Sie stünden dabei aber nie allein da, sagt Mia. Jederzeit können sie sich an die Teamleitung wenden, regelmäßige Supervisionen helfen bei der Verarbeitung. Vor der ehrenamtlichen Tätigkeit absolvieren die Peers eine 32-stündige Ausbildung.
Rund ein Drittel der Ratsuchenden schreibt nur einmal und meldet sich nach der Antwort nicht mehr, sagt Mia. Den Grund dafür oder was danach passiert, weiß sie nicht - Anonymität ist eine der wichtigsten Grundlagen für das niedrigschwellige Angebot. Mit manchen ergibt sich ein langfristiger Austausch. „Ich habe auch Kontakte, die schon mehr als ein Jahr laufen“, sagt sie. Manchmal sei es gut, eigene Erfahrungen mit einzubringen, fügt Lara hinzu. „Dann kann man auch eine Beziehung zu den Ratsuchenden aufbauen.“ Sollten im Austausch akute Suizidgedanken geäußert werden, raten die Peers zu professioneller Hilfe. „Im Normalfall kann es schon sehr entlastend sein, einfach über diese Gedanken zu sprechen. Zu wissen, es gibt ein wertschätzendes Gegenüber, kann auch eine Weile tragen“, sagt Isabelle Dulleck.
Die Gründe, warum Jugendliche Suizidgedanken haben, sind ganz unterschiedlich. In den letzten Jahren gab es jedoch einen Faktor, der immer wieder auftrat. „Seit Pandemiebeginn merken wir, dass die Nachrichten im Schnitt 30 Prozent länger geworden sind“, sagt Dulleck. „Die Ratsuchenden schildern auch, dass sie stärker belastet sind und noch schwieriger in andere Hilfesysteme kommen.“ U25 ersetzt ganz bewusst keine Therapie, versucht aber, ein Rettungsanker für die Jugendlichen zu sein und sie bei Bedarf an professionelle Stellen weiterzuvermitteln.
Die Caritas finanziert U25 in Nürnberg zu zehn Prozent, weitere Mittel kommen seit 2016 vom Bund und vom Freistaat Bayern. Diese Förderung läuft bis Ende 2024 - was danach passiert, ist noch nicht klar, sagt Klaus Weckwerth, Projektleiter vor Ort. Man stehe im Austausch mit Berlin und München und bemühe sich um eine Regelfinanzierung im Rahmen eines Suizidpräventionsgesetzes. „Der Bedarf ist enorm, aber nur wenn die Politik sich dauerhaft finanziell engagiert, kann es weitergehen“, sagt Weckwerth.