sozial-Politik

Flüchtlinge

"Wir brauchen für Ukrainer jeden Wohnraum"



Michael Thomas leitet im Landkreis Harburg das "Deutsche Rote Dach", das Wohnraum für Menschen aus der Ukraine vermittelt. Die Lage ist überaus problematisch, weil Wohnungen fehlen: "Das Ende der Fahnenstange ist erreicht."

Winsen/Luhe (epd). Das „Deutsche Rote Dach“, eine Organisation des Deutschen Roten Kreuzes, bemüht sich schon lange Jahre um Unterkünfte für Flüchtlinge. Durch Russlands Überfall auf die Ukraine kämen die Kommunen und Hilfeorganisationen an den Rand ihrer Möglichkeiten, sagt der Leiter des Roten Daches, Michael Thomas, im Interview. Die Fragen stellte Karen Miether.

epd sozial: Herr Thomas, Sie vermitteln seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine vor allem von Privatleuten angebotene Quartiere für Flüchtlinge, was sind Ihre Beobachtungen?

Michael Thomas: Was genau auf uns zukommt, wussten wir anfangs nicht, nur dass wir in kurzer Zeit sehr viele Schutzbedürftige aufnehmen müssen. Darum vermitteln wir hier zurzeit ausschließlich für Flüchtlinge aus der Ukraine. Das „Deutsche Rote Kreuz“ kümmert sich um alle Flüchtlinge unabhängig von der Herkunft, maßgeblich ist die Not der Menschen. Aber es ist gerade organisatorisch nicht anders zu wuppen. Wir appellieren dringend an die Bevölkerung: Stellen Sie Wohnraum zu Verfügung! Wir wissen ja nicht, wie die Lage im Herbst oder Winter sein wird. Auch leerstehende Jugendherbergen oder Gasthöfe kämen infrage.

epd: Wie ist denn die Situation in einem Landkreis am Rande der Großstadt Hamburg?

Thomas: Im Landkreis leben aktuell ungefähr 4.000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Mehr als 2.000 von ihnen sind im privaten Wohnraum untergekommen, den Menschen kostenlos zur Verfügung gestellt haben, vom Zimmer in der eigenen Wohnung bis zu ganzen Häusern. Aber das reicht schon jetzt nicht. Wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht. Im Moment kommen etwa 50 Ukraine-Flüchtlinge in der Woche dazu, das sind ja gar nicht die ganz großen Zahlen. Aber wir bekommen kaum noch Angebote für Wohnraum.

epd: Wie geht dann weiter?

Thomas: Ich sehe schon am Horizont, dass wir auch auf Unterkünfte wie Schulhallen zurückgreifen müssen. Wir vermitteln schon teilweise wieder in Gemeinschaftsunterkünfte zurück. Manche Menschen haben nur auf Zeit Wohnraum zur Verfügung gestellt. Jetzt kommt die Oma und jemand braucht ein Zimmer selbst oder eine Ferienwohnung war von Beginn an nur bis zur Urlaubssaison angeboten worden. Es gibt aber kaum Mietwohnungen, die nach den Sätzen der Jobcenter angemessen und bezahlbar sind. Das gilt für die Menschen aus der Ukraine genauso wie für andere auch.

epd: Wie gelingt das Zusammenleben, gibt es Konflikte?

Thomas: Zu 98 Prozent läuft es gut. Aber bei aller Dankbarkeit und Freude für die Hilfsbereitschaft haben manche Menschen auch eine sozial-romantische Vorstellung. Sie treffen dann auf Flüchtlinge, die ihre Ruhe haben und nicht betüdelt werden wollen. Es gibt auch das ältere Ehepaar, das Gegenleistungen erwartet, etwa dass der Müll runtergetragen und der Garten gemacht wird. Abgesehen von der Kriegserfahrungen und möglichen Traumata bringen auch einige Menschen aus der Ukraine Probleme mit. Das kann ein Alkoholproblem sein, häusliche Gewalt oder eine psychische Erkrankung. Da ist es manchmal schnell nötig, ein anderes Quartier zu finden. Manche ziehen auch Gemeinschaftsunterkünfte vor, vielleicht, weil sie in der Nähe ihrer Landsleute sein wollen.



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