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Flüchtlinge

"Wir wollen keine Unannehmlichkeiten machen"




Yuliia Sierhiehieva (2.v.l.) und ihre Cousine Olesya Horoshko mit der Nichte von Sierhiehieva und Horoshkos Zwillingen in Ohlendorf
epd-bild/Karen Miether
Mitten zwischen den Möbeln anderer Leute zu leben oder das eigene Haus Fremden zu überlassen: Für Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Gastgeber birgt das so manche Herausforderung. Selbst dann, wenn alle sich gut vertragen.

Ohlendorf (epd). Astrid Oertzen zupft erst einmal die Decke vom Sofa, die das helle Möbelstück vor Flecken schützen soll. „Das muss doch nicht sein. Hier soll schließlich gelebt werden“, ruft sie Yuliia Sierhiehieva zu. Die antwortet auf Englisch: „Aber es soll doch alles ordentlich bleiben. Wir wollen keine Unannehmlichkeiten machen.“ Mit ihrer Cousine und fünf Kindern ist die Ukrainerin vor gut einem halben Jahr in das Elternhaus von Astrid Oertzen im niedersächsischen Ohlendorf gezogen, das vorher leer stand. „Wir haben großes Glück“, sagt Sierhiehieva. Inzwischen ist auch die Mutter der 32-Jährigen aus der Ukraine zu ihnen gekommen.

Seit Ende Februar wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums mehr fast 970.000 Personen aus der Ukraine im deutschen Ausländerzentralregister registriert. Etwa 97,3 Prozent von ihnen sind ukrainische Staatsbürger. Rund 65,7 Prozent von ihnen sind Frauen und Mädchen, fast 37 Prozent Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Eine riesige Zahl von Personen, die untergebracht werden muss - und weil vor allem in Ballungsräumen bezahlbare Wohnungen fehlen, leben noch viele Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften.

Wohnungssuche extrem schwierig

Nicht nur in der Region im Speckgürtel von Hamburg ist es schwer für die Geflüchteten, Wohnraum zu finden. „Die Unterbringung von über 90.000 vertriebenen Ukrainerinnen und Ukrainern belastet den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt extrem“, sagt der Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Landkreistages, Hubert Meyer. „Auch in vielen ländlichen Regionen ist der verfügbare Wohnraum schlicht belegt.“

Deshalb lebten vielerorts die geflüchteten Menschen noch in Gemeinschaftsunterkünften, obwohl sie einen Anspruch auf Sozialleistungen hätten und damit die Kommunen die Kosten der Unterkunft übernähmen.

Mehrköpfige Familien schwer unterzubringen

Auch Yuliia Sierhiehieva war zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft, gemeinsam mit ihrer Cousine Olesya Horoshko, deren Zwillingen und den drei Kindern ihrer Schwester im Alter von zweieinhalb bis 18 Jahren. Erst habe eine Sozialarbeiterin vorgeschlagen, sie zu trennen, damit sie leichter eine Wohnung finden könnten, erzählt sie. „Das wäre aber schwer vorstellbar gewesen. Denn es sind ja nicht meine Kinder. Da ist es gut, dass wir uns gegenseitig unterstützen.“

In dem alten Bauernhaus in Ohlendorf hätten sie sich vor allem in der geräumigen und hellen Küche gleich wohlgefühlt. „Meine Cousine konnte die Lieblingsgerichte der Kinder kochen. Ein Stück Heimat.“

Astrid Oertzen lebt rund anderthalb Stunden von Ohlendorf entfernt in Dithmarschen. Seit dem Tod ihres Vaters im Dezember 2020 war ihr Elternhaus unbewohnt. „Ich konnte es nicht verkaufen, weil ich so daran hing“, sagt die 61-Jährige. „Ich brauchte Zeit, um Abschied zu nehmen.“ So ist das Haus noch vollständig möbliert. Als im Februar der dringende Aufruf kam, Quartiere für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, beschloss ihre Familie, das Haus anzubieten. „Das war erst schwierig“, blickt sie auf zwei gescheiterte Versuche zurück, bei denen sich Interessenten nicht wieder meldeten. Doch jetzt sei sie froh, der Familie helfen zu können.

Betroffene in Zeiten der Krim-Annektion 2014

Yuliia Sierhiehieva weiß aus eigener Erfahrung: „Es ist nicht so leicht, sein Haus und seine Möbel anderen zu überlassen, die man nie vorher gesehen hat.“ Für die junge Frau aus Kiew hat der Krieg nicht erst mit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar begonnen, sondern schon 2014 mit dem Konflikt auf der Halbinsel Krim. „Wir waren selbst Gastgeber für Geflüchtete aus dem Donbass“, erzählt sie. Der Konflikt habe auch ihre Biografie bestimmt. Sie studierte Psychologie, um Vertriebene, Veteranen und ihre Familien zu betreuen. Ihr Mann und die Schwester, auf deren Kinder sie jetzt achtgibt, sind im Militäreinsatz.

Astrid Oertzen hält zu Yuliia Sierhiehieva vor allem per WhatsApp Kontakt. „Wir haben bewusst überlegt, dass wir der Familie Ruhe gönnen“, sagt sie. „Gleichzeitig finde ich es gut, dass es hier ein Netzwerk von Engagierten aus Kirche und Nachbarschaft gibt.“ Zu diesem Netzwerk gehört mittlerweile auch Yuliia Sierhiehieva selbst. Der evangelische Kirchenkreis Winsen an der Luhe hat sie für ein Jahr angestellt, um den Flüchtlingen aus ihrer Heimat zur Seite zu stehen.

Sprachbarriere schwer zu überwinden

„Viele wollen eine eigene Wohnung finden, aber es ist ein schwieriges System, und die Sprachbarriere macht es noch schwieriger“, sagt sie. Wer eigentlich in die Heimat zurückwolle, schließe auch keinen längerfristigen Mietvertrag ab - ein Problem auf dem umkämpften Wohnungsmarkt. Ein Jahr - so lange kann sich die 32-Jährige inzwischen selbst vorstellen zu bleiben.

Das Elternhaus von Astrid Oertzen steckt für die 61-Jährige und ihre Familie noch voller Erinnerungen, die bis in deren Kindheit zurückreichen. Im Flur hängen noch dutzende Geweihe von Rehböcken, die ihr Vater als passionierter Jäger einst geschossen hat. Doch in vielen Räumen haben inzwischen Barbie-Puppen, Stofftiere und Malkästen vor den Klassikerbänden in den Regalen Einzug gehalten.

Yuliia Sierhiehieva hat in ihrem Zimmer vor allem Fotos aufgestellt. Sie zeigen ihren Mann und sie am Hochzeitstag, beim Pilgern auf dem Jakobsweg und dem letzten gemeinsamen Urlaub in der Türkei. „Das war in unseren Weihnachtsferien im Januar.“

Karen Miether


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